Perfekte Bedingungen: Die geheime Kunst des Eismeisters am Weissensee
Norbert Jank nickt zufrieden. „Siebzehn Zentimeter! Perfekte Bedingungen!“ Norbert ist der Eismeister vom Kärntner Weissensee – und seit fast fünfzig Jahren für gute Eisqualität und Sicherheit verantwortlich. Alljährlich ab etwa Mitte Dezember verwandelt sich der seichte, rund zweieinhalb Kilometer lange Seebereich westlich der Ortschaft Techendorf in eine glitzernd-funkelnde Spielwiese für Eissportler. Auch der bis zu neunundneunzig Meter tiefe Ostteil des insgesamt 11,6 Kilometer langen, viertgrößten Kärntner Sees auf neunhundertdreißig Meter Höhe friert alljährlich zumindest kurz zu, erreichte in den vergangenen Jahren allerdings nie Tragfähigkeit.
„Theoretisch trägt die Eisdecke ab einer Stärke von vier Zentimeter“, erklärt Norbert, „wirklich sicher wird es mit zehn Zentimetern“. Immer wieder wagen sich Ungeduldige vor der offiziellen Freigabe auf das glatte Terrain, was oft mit gefährlichen, schlotterkalten Bädern endet. „Auch ich bin ein Einbrecher“, sagt Norbert und schmunzelt. „Immer wieder, berufsbedingt. Aber Eisschwimmen hält angeblich fit, ich bin der beste Beweis dafür.“
Sein gewaltiges Wissen zum Thema Eispräparierung eignete sich rüstige 78-Jährige als Autodidakt an. Auch die Gerätschaft zur Eispflege baut er selbst: Schrott-Autos mit Schneepflug vorne und breitem Besen hinten; Walzen, Rollen, Kehrmaschinen. Norbert ist ein wandelndes Lexikon für gefrorenes Wasser: Schneeeis hat einen hohen Luftanteil; kurzer Regen füllt Lufteinschlüsse auf und glättet die Oberfläche. Am begehrtesten ist das schnee- und weitgehend luftblasenfreie, besonders harte Schwarzeis: Dann ist die See-Oberfläche transparent wie Glas und Gewässerboden, Fische und Wasserpflanzen schimmern durch. Bei minus zehn Grad wächst die Eisdicke um zwei Zentimeter pro Nacht. Das typische gespenstische Knacken zeigt, dass das Eis in die Breite wächst: um bis zu dreißig Zentimeter pro Tag. Besitzer von Stegen am See haben damit natürlich keine Freude.
Eisläufer, Hockey-Spieler und Schützen strömen zum See
Kaum meldet Norbert offiziell die Eisfreigabe, strömen Tausende aus nah und fern herbei. Für die Eis- und Eisschnellläufer präpariert der Meister Dutzende Kilometer schneefreie Bahnen in weiten Schlangenlinien.
Auf weiten, glatten Flächen tummeln sich kleine Eisprinzessinnen mit rosaroten Helmen; Eishockey-Spieler jagen mit dem Schläger nach dem Puck und Eisstock-Schützen lassen die Dauben krachen. Im Tiefschnee rundum tummeln sich Spaziergänger, die Allerkleinsten werden warm eingepackt auf Rodeln hintennach gezogen und so mancher Langläufer zieht seine Spur am See. Allesamt erinnert die idyllische Winterszenerie an ein Bruegel-Gemälde.
Höhepunkt ist die alljährlich in der dritten und vierten Jännerwoche stattfindende „Alternative Holländische Elfstädte-Tour“. Ende des 19. Jahrhunderts etablierte sich dieser Wettlauf für Profis und Amateure, der über zweihundert Kilometer elf niederländische Städte Frieslands verband, zur „Königsdisziplin des Eisschnelllaufs“. Doch der beständige Eiszauber ist in den Niederlanden längst Geschichte, sodass die Elf-Städte-Tour 1989 kurzerhand auf den Kärntner Weissensee verlegt wurde. Seitdem strömen alljährlich rund sechstausend fanatische Eissportler herbei – und Norbert arbeitet mit seinem Team Tag und Nacht für spiegelglatte Bedingungen. „In den Niederlanden bin ich so bekannt wie König Willem-Alexander“, meint er selbstsicher.
Eisschnelllauf erlernen
Wer die Ruhe des winterlichen Naturparks Weissensee mit seinen weitgehend unverbauten Ufern erleben möchte, darf nicht in der zweiten Jännerhälfte kommen. Abseits des Trubels macht es Spaß, selbst das Eisschnelllaufen auszuprobieren. Kurse dafür offeriert Wolfgang Wernitznig, ehemaliger österreichischer Staatsmeister in dieser olympischen Disziplin.
Eine Überraschung wartet im Sportgeräteverleih: „Statt Eislaufschuhen gibt es Langlaufschuhe; statt schmaler Ski werden vorne messerscharfe, rund vierzig Zentimeter lange Kufen angeschnallt (ansonsten gibt es keine Fixierung). Am Eis erklärt Wolfgang den Anfängern geduldig Bewegungsabläufe und Haltung. Für Ängstliche stehen „Eislaufhilfen“ namens Eis-Buggy bereit: wie ein Rollator für Eisläufer. Doch hat sich der Neuling daran gewöhnt, dass die Kufen bei jedem Schritt von den Fersen klappen, geht es hurtig dahin. Die Gleitschritte der Eis-Eleven werden immer ausladender, das Tempo flotter. „Die holländischen Profis bringen es auf knapp vierzig Kilometer pro Stunde“, versucht Wolfgang zu motivieren. „Ihr Weltrekord liegt bei fünf Stunden elf Minuten für zweihundert Kilometer.“ Unfassbar!
Nach der Mittagspause findet das elegante Dahingleiten auf den langen Kufen ein jähes Ende: Heftiger Föhnwind verwandelt das Eis oberflächlich in einen See zurück. Jetzt ist Eislaufen definitiv unlustig: Die scharfen Kufen schneiden unvermittelt tief ins aufgeweichte Eis ein – mit so manch schmerzhaftem Kniefall als Folge. „Eisfläche gesperrt!“ – Schilder werden aufgestellt. Die eisige Spielwiese muss geschont werden, denn die holländische Sportlerinvasion steht unmittelbar bevor.
Die weiteren Wetterkapriolen fordern den Eismeister hart: Auf das völlig aufgeweichte Eis fallen vierzig Zentimeter Neuschnee. Jetzt geht gar nichts mehr. Unzählige Helfer packen mit an, um die Schneeberge vom See zu bekommen. Norbert rast mit seinem Schneepflug-Auto unermüdlich über den See, kratzt, schiebt, schert und kehrt bis tief in die Nacht.
Anreise
– Mit dem Zug bis Greifenburg/Weissensee (direkt oder mit Umstieg in Villach bzw. Spittal an der Drau), oebb.at
– Shuttledienst nach Techendorf gratis für Gäste von Premium-Card-Partnerbetrieben (ansonsten 20 Euro für Hin- und Rückfahrt). Reservierung vorab erforderlich. weissensee.com
Schlafen und Essen
– Hotel & Chalets Regitnig Techendorf, Spa direkt am Wasser.
–Genießerhotel „Die Forelle“: Haubenküche mit regionalen Zutaten.
– Strandhotel am Weissensee: vegane Gourmetküche
– Restaurant „Das Löwenzahn“: moderne Gourmetküche, mit drei Gault-Millau-Hauben
– Tschatscheleria: urige Imbissbude am See bei der Natureislaufschule
Auskunft
weissensee.com/de,
natureislauf.at
Der nächste Morgen macht alles gut: Das Thermometer ist auf minus achtzehn Grad gesunken, der noch offene See-Teil dampft mystisch, die Bäume tragen ein weißes Hochzeitskleid aus Raureif. Schöner hätte es auch Pieter Bruegel nicht malen können.