Wandel, Weichsel, Wolkenkratzer: Neue Architektur-Highlights in Warschau
Mitten im vierspurigen Kreisverkehr Rondo Charles'a de Gaulle'a wächst eine wohlgestaltete Dattelpalme fünfzehn Meter hoch in den Himmel. Erstaunlich für die nördliche Lage von Polens Hauptstadt Warschau. Doch bei genauer Betrachtung wird klar: Sie ist aus Plastik. Das Werk der Künstlerin Joanna Rajkowska wurde zum Gedenken an die früher hier lebenden Juden errichtet – und ist ein neues Wahrzeichen der Stadt. „Die Palme ziert nicht nur Souvenirs und T-Shirts, sie ist auch ein typisches Symbol für Warschau – einer Stadt im steten Aufbruch und Wandel, die sich regelmäßig neu erfindet“, erklärt Guide Antoni Władyka. Und stellt eines klar: „Warschau hat nicht ein Stadtzentrum, sondern viele. Und laufend poppen neue auf.“
- Der "Varso Tower“ (von Foster und Partner) ist 310 Meter hoch
- "Złota 44“ (von Daniel Libeskind), in der Nähe des Kultur- und Wissenschaftspalastes
- Der InterContinental-Wolkenkratzer hat ein Loch in der Mitte
- Toller Ausblick: der botanische Dachgarten der neuen Universitätsbibliothek
Zwei Zentren sind bei Touristen besonders beliebt: die historische Alt- und Neustadt (Stare und Nowe Miasto). Nach dem Zweiten Weltkrieg waren hier 95 Prozent der Gebäude aus Barock und Renaissance dem Erdboden gleich gemacht. Die detailgetreue Rekonstruktion gelang so authentisch, dass die UNESCO dafür den Titel Weltkulturerbe verleiht – weltweit einzigartig für Denkmalschutz und Wiederaufbau. Und auch am Königsweg (Krakowskie Przedmieście), der Pracht- und Flaniermeile vom Schlossplatz Richtung Süden, geht es lebhaft zu – vor allem an Wochenenden, wo sie temporäre Fußgängerzone ist.
Neue hippe Zentren
Nach der grauen Sowjetzeit befreite sich Warschau nach und nach vom Sowjetmief zu einer Stadt mit tausend Gesichtern. „Initiator des jüngsten Baubooms war die Fußball-EURO 2012. Unser freizügiges Baurecht lässt einen kreativen Mix verschiedenster Epochen und Stile zu. Heute ist Warschau ein Architektur-Highlight und Ziel von Städtebau-Studenten aus aller Welt.“ Doch auch „normale“ Touristen sind begeistert: Warschau wurde mit einer Rekordzustimmung zur „European Best Destination 2023“ gekürt – unter anderem wegen zahlreicher Grünanlagen und (Schloss)-Parks; hervorragender, preiswerter Gastronomie; extrem hoher Sicherheit und spannenden Events. Doch bei Letzterem relativiert Antoni: „In Warschau ist nur von Anfang Mai bis Ende Oktober viel los, ansonsten herrscht tote Hose.“
Die moderne Skyline von Warschau
Das neue, trendige, bunt zusammengewürfelte Warschau erlebt man am besten im Bezirk Wola zwischen dem monströsen Kultur- und Wissenschaftspalast (ein verhasstes „Geschenk“ Stalins) und dem Museum des Warschauer Aufstandes (Muzeum Powstania Warszawskiego; bedrückend aber sehenswert!). Hier bilden die Wolkenkratzer namhafter Stararchitekten die neue, hypermoderne Skyline.
Aushängeschilder sind der dreihundertzehn Meter hohe „Varso Tower“ (von Foster und Partner), „Złota 44“ (Daniel Libeskind) oder der InterContinental-Wolkenkratzer mit einem eigentümlichen Loch in der Mitte. Gleich dahinter irritieren mühsam gehübschte Sowjet-Plattenbauten, Industriezonen, die Überreste der Gettomauer, Ruinen, Brache, Unkraut. „Dieses gemischte Gebiet wird gerade völlig umgekrempelt. Es ist aktuell ähnlich hipp wie die London Docklands. Die Plattenbauten sind beliebt: als komfortable, sehr günstige Eigentumswohnungen. Gentrifizierung gibt es in Warschau so gut wie nicht“, so Antoni.
Doch genau diese verbliebenen, lang gestreckten Wohnblocks inmitten des Baubooms machen den Architekten das Leben schwer, denn die neuen Wolkenkratzer dürfen ihnen nicht das Tageslicht nehmen. Diese Bauvorschrift erklärt auch die Aussparung inmitten des InterConti-Wolkenkratzers. „Außerdem muss Regenwasser in Kanalisation eingebracht werden. Daher haben alle Häuser perfekte Dachrinnen – auch die schlimmsten Ruinen“, schmunzelt Antoni.
Wenig Mitleid haben die Stadtväter mit dem 231 Meter hohen Kulturpalast: um ihn herum toben die Baumaschinen. Werden alle geplanten Prestige-Vorhaben realisiert, wird der „Stalinstachel“ nicht mehr das Stadtbild dominieren. Und der alte Witz „Wo hat man den schönsten Blick auf Warschau? Vom Kulturpalast, denn hier sieht man ihn nicht“, wird obsolet. Tipp: Auch wenn lange Wartezeiten drohen, unbedingt zum „Gotischen Saal“ im 30. Stockwerk (114 Meter Höhe) hinauffahren. Der Rundblick von der umlaufenden Aussichtsterrasse ist grandios.
Anreise
ÖBB-Direktzug Wien–Warschau 7,5 Std oder mit dem Nachtzug 10 Std.
Schlafen und Essen
– Chopin Boutiquehotel B & B: charmantes Retrohaus, ideale Lage.
– U Wieniawy: traditionelle Küche, historischer Charme.
– Qchnia Artystyczna: innovative Küche im Ujazdowski Castle, Terrasse im Grünen.
– Muzealna Restaurant: Michelin-rated, im Nationalmuseum.
Auskunft
Dach-Promenade
Angesagt und mittlerweile gut situiert ist das einstige Armenviertel Powiśle nahe dem Fluss Weichsel. Aus einstigen Fabriks- und Hafenanlagen entstanden eine lebhafte Gastronomieszene und schicke Wohnanlagen. Im zehntausend Quadratmeter großen botanischen Dachgarten der neuen Universitätsbibliothek gedeihen seltene Pflanzen; Brücken, Pergolen und Aussichtsterrassen offerieren schöne Ausblicke.
Mit der Neugestaltung der Uferpromenade gelang es, den Fluss ins städtische Leben zu integrieren. Gemütliche Lokale, Sandstrände und Spielplätze laden zum Chillen ein. Neue Landmarks sind das Museum für moderne Kunst und das Wissenschaftszentrum Kopernikus.
Eine brandneue Fußgängerbrücke verbindet das urbane linke Ufer mit der grünen, naturbelassenen rechten Flussseite: Hier warten herrliche Stadtstrände und die Narodowy Fußballarena. „Ich bin selbst noch nicht über die Brücke gegangen“ verrät Antoni. „Die Stadt verändert sich ja so rasant!“