Nachtwächter im Bergdorf: „Den Job wirscht nimmer los“
Von Stefan Hofer
Josef Lugger ist Nachtwächter in Obertilliach, dem höchstgelegenen Dorf im Osttiroler Lesachtal. Sommers ist es ein Bergsteigerdorf, im Winter ein international beliebtes Langlaufzentrum. Der KURIER hat Jolly, wie er von Freunden gerufen wird, nachts auf seiner Runde mit Touristen begleitet. Lugger erzählt:
„Man ist doch angehängt: Ich geh’ drei Mal die Woche als Nachtwächter, zehn Monate im Jahr. Gut, ich bin jetzt in Pension, da geht’s leichter als früher. Mein Vorgänger Helmut hat den Job zwanzig Jahre gemacht – gesundheitlich geht es bei ihm nicht mehr. Den Nachtwächter gibt es bei uns seit 1446, also bald sechshundert Jahre. Ich sag immer zu den Touristen: Ich hab vor, den Job bis 2046 zu machen, das könnte sich bei meinem Alter ausgehen.
Die Ausrüstung ist auch seit sechshundert Jahren die gleiche: ein schwarzer Filzhut, ein warmer Lodenmantel. Ein Bauer hat einmal gesagt: Bei uns ist sechs Monate Winter und sechs Monate kalt. Die Waffe ist eine Hellebarde, eine Hieb- und Stichwaffe, mit der hat sich der Nachtwächter gewehrt, zugeschlagen oder zugestochen. Und die Laterne, die ihm den Weg geleuchtet hat.“
Ob Landschaft, Leute oder Architektur – der Ort ist vom bäuerlichen Leben geprägt. Jolly schreitet von der Kirche, dem Ausgangspunkt der Tour, nun voran zu den Bauernhöfen im Ortskern.
„Der Ort wurde um das 13. Jahrhundert besiedelt, angeblich von schlesischen Auswanderern. Wieso haben wir einen Nachtwächter? Obertilliach ist ganz eng zusammengebaut. Haus an Haus, Stall an Stall. Die Leute haben sich so sicherer gefühlt und gegenseitig geschützt. Es hat ja keine Gendarmerie oder Brandwache gegeben. Wenn es da gebrannt hätte, wäre das Dorf abgebrannt.
Der Nachtwächter hat früher alle zwei Stunden seine Runde gemacht: Um zehn, um zwölf und um zwei Uhr nachts ist er durchs Dorf gegangen und hat geschaut, ob die Leute nix vergessen haben auszumachen, Kerzen oder Laternen. Der zweite Grund: Wir sind früher oft von Räuberbanden von drüben, von Italien, überfallen worden. Die sind in unser Dorf eingebrochen und haben alles gestohlen, was nicht niet- und nagelfest war. Der letzte große Überfall war 1512. Damals wurden 26 Räuber von der Dorfbevölkerung erschlagen und sechs festgenommen. Da hat rohe Gewalt geherrscht.“
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Nachtwächterführungen im denkmalgeschützten Ortskern, Di. und Fr. um 21 Uhr, (aber nicht im Mai und Nov.). Für Kinder am Donnerstag. Treffpunkt ist am Kirchplatz. osttirol.com/obertilliach
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1.450 Meter hoch liegt das Dorf. Bekannt sind die Tilliacher Möser mit den Heuschupfen
Am Ende stimmt Jolly ein Nachtwächterlied im lokalen Dialekt an, den man schon im Nachbartal nicht versteht – und Urlauber schon gar nicht.
„Den Job vergleich ich mit den Kardinälen im Vatikan: Ich bin in meinem Alter von hundertfünfzig Türmern und Nachtwächtern in Europa einer der jüngsten dieser Garde. Das Durchschnittsalter ist um die 69. Den Job wirscht nimmer los, den hasch du bis ans Lebensende.“