Leben/Reise

Mönche und Medizin: Warum Nürnberg zur Lebkuchenstadt wurde

Die Nürnberger Lebküchlerin Anna Kucherin lacht: „Ich muss mich noch ein wenig abputzen, ich komme direkt aus der Backstube.“ Sie steht in einem mittelalterlichen Kostüm mitten am Hauptmarkt vor der gotischen Frauenkirche, wo im Advent der bekannte Christkindlesmarkt stattfindet.

Kaiser Karl IV., der oben auf der Kirche golden in der Sonne glänzt, hat im Jahr 1350 das Nutzungsrecht der Wälder rund um Nürnberg den Imkern übertragen“, erklärt sie, „und der von ihnen gesammelte süße Honig stellte eine der wichtigsten Zutaten für Lebkuchen dar. Zucker war damals ein Luxusprodukt.“ Während man durch das historische Zentrum mit seinen Fachwerkhäusern und Backsteinbauten flaniert, führt Anna in die Entstehungsgeschichte des Backwerks ein.

Vermutlich waren es Mönche, die im 11. Jahrhundert damit begannen, Honigkuchen zu backen. Um zu verhindern, dass der Teig auf dem Backblech anklebt, setzten sie die Teigmasse auf jene Oblaten, aus denen sie sonst die Hostien formten.

Von Generation zu Generation überliefert, werden die geheim gehaltenen Rezepturen für die Nürnberger Lebkuchen bis heute verwendet:

  • 1 Pfund Zucker (½ kg)
  • ½ Seidl oder 1/8erlein Honig (entspricht 175 ml Honig)
  • 4 Loth Zimet (60 g Zimt)
  • 1 ½ Muskatrimpf (1,5 Teelöffel geriebene Muskatnuss)
  • 2 Loth Ingwer (ca 30 g)
  • 1 Loth Caramumlein (15 g gemahlener Kardamom)
  • ½ Quentlein Pfeffer (ca 30g)
  • 1 Diethäuflein Mehl, ergibt 5 Loth (ca 75 g)

Lebkuchen als Medizin

So richtig Fahrt nahm der Nürnberger Lebkuchen im 14. Jahrhundert auf, in einer Zeit, in der die Stadt am Schnittpunkt alter Gewürz- und Handelsstraßen ihre wirtschaftliche Blüte entfalten konnte. „Für besondere Anlässe wurde der Teig des Honigkuchens mit exotischen Gewürzen, etwa Zimt, Nelken, Kardamom oder Muskat, sowie Mandeln versetzt. Damit war der Lebkuchen geboren“, sagt Anna.

Als sie beim alten Rathaus anhält – „hier wurde zu festlichen Gelegenheiten Lebkuchen als Dessert gereicht“ – entnimmt sie ihrem Weidenkorb mehrere kleine Dosen und hält sie zum Schnuppern hin. „Den Gewürzen wurden positive Effekte auf die Gesundheit zugeschrieben. So wirkt etwa die Nelke schmerzstillend, entzündungshemmend, beruhigend, desinfizierend und krampflösend. Und Zimt regt nicht nur die Verdauung, sondern auch den Kreislauf, die Durchblutung, den Appetit und die Fettverbrennung an.“ Kein Wunder also, dass der würzige Lebkuchen einst auch als Medikament galt.

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Eine besonders edle Variante ist der Elisenlebkuchen. Die Legende besagt, dass er nach einer Nürnberger Lebküchner-Tochter benannt ist. Sie hieß Elisabeth und war schwer krank; kein Arzt konnte helfen. Ihr Vater wusste als Lebküchner um die Wirkung der orientalischen Gewürze und stellte für seine geliebte Tochter einen ganz besonderen Lebkuchen her. Er ließ das Mehl weg und verwendete nur die allerbesten Zutaten. Und tatsächlich: Elisabeth kam wieder zu Kräften und wurde gesund. Bis heute darf der Elisenlebkuchen maximal zehn Prozent Mehl enthalten, für sein typisches Aroma sorgen Gewürze in geheimer Zusammensetzung. 

Anreise
Mehrmals täglich ab Wien mit dem ICE, Fahrzeit ab 15. 12. ca. 4 Std. 15 min. oebb.at

Unterkunft
Hotel Victoria: Königstraße 80, in Bahnhofsnähe, neben dem historischen Handwerkerhof bei der Stadtmauer am Beginn der Fußgängerzone, auf Wunsch Nürnberger Bratwürste zum Frühstück. hotelvictoria.de

Restaurant
„Das Steichele“, historisches Ambiente, traditionelle fränkische Küche. steichele.de

Auskunft
germany.travel,
tourismus.nuernberg.de

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Im Laden der Lebküchnerei Wicklein am Hauptmarkt können Besucher beobachten, wie der fertige Teig auf handtellergroße Oblaten gestrichen und mit Mandeln verziert wird. Der Backvorgang ist eine Wissenschaft für sich, erklärt Dominic Woitinek, Chef eines Familienbetriebs nahe des Bahnhofs, der sich vor zwanzig Jahren auf Elisenlebkuchen mit fünfundzwanzig Prozent Nussanteil spezialisiert hat: „Vor dem Backen lassen wir die Lebkuchen über Nacht bei vierzig Grad im Trockenraum, so werden sie leichter, saftiger und bekommen keine Risse. Die Backzeit beträgt dann fünfzehn Minuten bei zweihundert Grad.“ Wer das Kleinformat bevorzugt, wird bei Marx Schokolade fündig: Dort stellen die Chocolatiers Lebkugeln her, umhüllt von einer Glasur in Dutzenden unterschiedlichen Geschmacksrichtungen.

Anna führt am Fuße der Kaiserburg zu einem putzigen Innenhof, in dem ein Fachwerkhäuschen aus dem 16. Jahrhundert klebt. Im Atelier Honig Häusla sticht Birgit Maria Jönsson in Handarbeit Lebkuchenmodelle aus Holz mit speziellen Motiven, mit denen sie Lebkuchen für besondere Anlässe wie Hochzeiten oder Geburtstage herstellt. Lauter Unikate – da staunen die Besucher. Zum Abschluss lädt die Lebküchlerin zu einem Tisch am Rand des Tiergärtnertorplatzes, an dem sich Jung und Alt in der spätherbstlichen Sonne vor den Fachwerkhäusern sammeln. Jetzt ist Zeit für die Verkostung verschiedener Lebkuchen. „Können Sie einzelne Gewürze erkennen?“, fragt Anna. Manche lassen sich leicht erraten, bei anderen kann man nur rätseln – aber auf seine spezielle Art schmeckt jeder einzelne.