Die Lust und das Licht: Unterwegs in der Provence
Von Stefan Hofer
Es gibt Inseln, die sind so bezaubernd, da zieht es einem die Schuhe aus. Auf die Île de Porquerolles vor Hyères an der französischen Mittelmeerküste trifft das zu. Zum einen, weil die Strände des Eilands vor einigen Jahren zu den schönsten in Europa gewählt wurden. Der weiße Sand und das azurblaue Wasser an der Plage de Notre-Dame erinnern an die Karibik.
Zum anderen, weil man wirklich darum gebeten wird, die Schuhe auszuziehen, den Staub der Straße hinter sich zu lassen. Zumindest als Besucher der Museumsvilla Fondation Carmignac, die sich mitten auf der Dreihundert-Einwohner-Insel befindet. „Der Gedanke dahinter“, führt Museumsguide Lucy aus: „Vielleicht kann man ohne Schuhe moderne Kunst besser verstehen?“ Ja, vielleicht kann man das.
Auf der rund zwölf Quadratkilometer großen, autofreien Insel wurde vor Jahren ein eigenwilliges Museum in besagter Villa Carmignac geschaffen. Neben den dauerhaften Exponaten wird jedes Jahr im Mai eine kuratierte Ausstellung eröffnet. Lucy – hellblaues Kleid, orangerote Haare, Sommersprossen, scheinbar soeben dem Gemälde eines französischen Malers entsprungen und natürlich barfuß – bereitet vor dem Museumsbesuch den Boden auf: „Du musst über die See kommen. Du spazierst durch den Inselwald voller Kiefern und Pinien. Die erste Kunst hier ist die Natur. Du bekommst vor der Villa Tee serviert. Du verlierst deine täglichen Sorgen. Und dann musst du im Museum die Schuhe ausziehen. Denn vor der Kunst ist jeder gleich.“
Und Lucy hat recht. Egal, ob man vor den Kunstwerken (etwa von Jeff Koons) im teils unterirdisch angelegten Museum steht oder an den gigantischen Masken und „Marmor-Eiern“ im weitläufigen Skulpturenpark vorbeispaziert.
Das Erleben fühlt sich barfuß anders an. Und blickt man durch die riesigen Museumsfenster nach draußen, wirkt das Meer dahinter ebenfalls wie ein Gemälde.
Überhaupt, die Provence.
Sie verzaubert. Aber sie muss für Einheimische doch mehr als ein lavendelfarbener Mythos sein. Was macht sie aus Sicht der Provenzalen besonders?
Als die Päpste in Avignon waren
„Es ist die wechselvolle Geschichte“, sagt Stadtführerin Laurence Magan und die Augen hinter ihrer roten Brille leuchten. Sie führt durch das pittoreske Avignon, wo im Zentrum der Papstpalast über allem thront. Fast hundert Jahre lang (vom Jahr 1335 bis 1430) war der gotische Palast in Avignon die Residenz der römisch-katholischen Päpste und Gegenpäpste dieser Epoche.
Highlights des Prachtbaus, natürlich UNESCO-Weltkulturerbe, sind etwa die Fresken aus dem 14. Jahrhundert im „Hirschzimmer“ und Grand Tinel, der Speisesaal mit Tonnengewölbe. Laurence führt auch durch den hübschen Palastgarten, der erst kürzlich aufwendig renoviert wurde. Der Blick vom Turm auf die alte Stadt, die Rhone und den kegelförmigen Mont Ventoux in der Ferne, auch „der Gigant der Provence“ genannt, sorgt für bleibende Eindrücke.
Wer Rummel mag: Das Festival d’Avignon, Frankreichs größtes Theaterevent, findet heuer vom 7. bis zum 26. Juli statt. Das offizielle Programm findet im Ehrenhof des Papstpalastes statt, beim Off-Festival mit Straßenkünstlern, Tanz und Burleske geht es ausgelassen zu.
Die Farben und das Licht
„Es sind die Leute, die Lebenslust, das Licht“, sagt Fremdenführerin Sonia Gonzini. Die Cezanne-Statue in Aix-en-Provence ist der ideale Start, um zu Fuß die liebliche Universitätsstadt zu entdecken. Aix wird oft als Inbegriff des südfranzösischen Lebensgefühls beschrieben. Auf dem Place Richelme, hinter dem Rathaus, findet im Schatten alter Platanen der tägliche Wochenmarkt (bis auf Sonntag) statt, wo die Einheimischen ihr Gemüse und Obst einkaufen.
Sehenswert auch das Mazarin-Viertel, geprägt von eleganten Patrizierhäusern aus dem 18. Jahrhundert. Und natürlich darf ein Spaziergang zum Atelier von Paul Cezanne nicht fehlen. Der Maler verbrachte fast sein ganzes Leben in seiner Geburtsstadt und versuchte unermüdlich, das Licht und die Farben der Provence auf der Leinwand einzufangen.
„Es ist die alte römische Architektur“, sagt Mathilde Moure, die Leiterin der Stätte, und breitet ihre Arme im antiken Theater von Orange aus. In der Provence finde man ja fast mehr Relikte aus der Römerzeit als in Rom, witzelt man in Frankreich. Meisterhafte Beispiele sind etwa der Pont du Gard, das höchste Aquädukt des Römisches Reiches, und das Amphitheater in Nîmes, wo einst Gladiatorenkämpfe stattfanden. Mathilde hat für Besucher des imposanten Theaters in Orange auch eine virtuelle Tour initiiert, die einen durch die Epochen begleitet. So erfährt man, dass vom 16. bis zum 19. Jahrhundert einfache Häuser innerhalb des Theaters gebaut wurden – die Spuren sieht man noch heute. Doch am beeindruckendsten ist es, die Ränge des Halbrunds abzuschreiten und die Dimensionen zu spüren. Das Theater bot Platz für siebentausend Besucher und war für alle Bürger kostenlos zugänglich.
„Es ist der Mistral“, sagt Fremdenführerin Valerie Montel. Der trockene, starke Fallwind bläst unangenehm über die Anhöhe des Dorfes Châteauneuf-du-Pape. Exakt dort, wo die Ruinen des Château des Papes stehen. Papst Johannes XXII. ließ die Burg im Jahr 1317 errichten und als erster Exil-Papst Wein anbauen. Vom Hügel sieht man zurück auf Avignon, die Rhone und die umliegenden Weingärten, auf denen heute dreizehn verschiedene Rebsorten angebaut werden. Das Klima hier ist heiß und trocken, der Mistral bringt im Sommer eine angenehme Kühle.
Kleine Weinstöcke
Schon im Mittelalter legten Kirchliche die Weinberge der Côtes du Rhône an. Der bekannteste Wein wurde dann nach dem Dorf benannt, das fast nur aus Weinkellereien besteht. „Bei 2.200 Einwohnern gibt es 330 Winzerfamilien“, nennt Valerie einen Grund, warum Châteauneuf-du-Pape unter Weinliebhabern einen besonderen Ruf genießt.
Was sofort auffällt: Die Weinstöcke sind viel niedriger als in Österreich. „Sie sind so klein wegen des starken Windes. Und die Höhe spielt auch im Sommer eine Rolle: Die großen Kieselsteine unter den Weinstöcken speichern die Wärme untertags, geben diese in der Nacht ab.“ Wie war die Ernte 2021? „Es war nicht viel, aber natürlich gute Qualität“, sagt Valerie. Und fügt schmunzelnd hinzu: „Ein Winzer weint ja immer.“
„Es sind Grenache und Syrah, Roussanne und Clairette Blanche.“ Wenn Florent Rigaud mit Verve die dreizehn verschiedenen Rebsorten aufzählt, die sich in seinen Weinen entfalten, hört es sich an, als ob ein Verliebter über seine Angebetete spricht. Und irgendwie stimmt das auch. Rigaud ist Chefsommelier des Weinguts Maison Bouachon, das nur wenige Gehminuten unterhalb ebenjener Papst-Ruine liegt. Man will ja nicht nur die Rebstöcke sehen, sondern auch den Rebensaft verkosten. In einem Weinkeller, wo alleine die Holzfässer in der Anschaffung fünfstellige Summen kosten, schmeckt so ein provenzalischer Tropfen gleich um Nuancen besser.
Florent erklärt, welche Sorten verwendet werden und welche Bedeutung dem Holz und den Fässern während der Reifung zukommt. Am Ende der Verkostung macht es Florent knifflig: Derselbe Wein, derselbe Jahrgang – aber aus unterschiedlichen Fässern. Der Besuch aus Österreich hat höchstens einen Schwips, aber erkennt natürlich keinen Unterschied. Florent ist gnädig: „Wichtig ist einfach, herauszufinden, welchen Wein du magst!“
Dem Mythos Provence auf die Spur zu kommen, ist hingegen nicht so einfach – die Antworten der Einheimischen zeigen das. Und vielleicht ist diese Vielfalt ja genau das Geheimnis.
Klimafreundliche Anreise
Austrian Airlines (austrian.com) fliegt Wien– Nizza und Lyon–Wien. 7 € kostet die CO"-Kompensation via climateaustria.at
Rundreise
„Provence – Eine Landschaft zum Verlieben“ von Raiffeisen Reisen, 6 Tage ab 1.695 €
p. P., 5x N in 3* - u. 4* Hotels, deutschspr. Führungen in u. a. Aix, Avignon und Orange. raiffeisen-reisen.at/reisen/rundreisen, Buchung: +43 800 6655 74
und info@raiffeisen-reisen.at
Infos
Tipps: Genuss und Kunst
Ob Oliven aus dem Luberon oder Trüffel aus dem Vaucluse – fein gespeist wird vielerorts (Bild oberhalb: Feigen mit Eis). Etwa mit Blick auf das Meer im „La Rascasse“ im Hotel Le Provençal in Hyères (provencalhotel.com) oder im Le Carré du Palais in Avignon (carredupalais.fr)
Sehenswert sind die Villa Carmignac auf der Île de Porquerolles, das Château La Coste mit Kunst unter freiem Himmel und die Collection Lambert (Bild oberhalb) in Avignon mit tollen zeitgenössischen Werken. Aix-en-Provence ist berühmt für Paul Cézannes Atelier