Christmas Island: Krabben-Invasion am Heiligen Abend
Es ist jedes Jahr verlässlich das Gleiche: Der Strom der Wanderer will einfach nicht abreißen. Auf Christmas Island geht’s zu Weihnachten zu wie bei uns in den Einkaufspassagen kurz vor dem Heiligen Abend: Dicht an dicht drängt man sich durchs Gewusel. Man hat kaum Platz zum Gehen und manchmal möchte man den einen oder anderen einfach wegschubsen, so eng ist es. Die Einwohner von Christmas Island machen das auch: Wenn es ihnen zu viel wird, kicken sie die Wanderer ohne jegliche Skrupel einfach aus dem Weg.
Unchristliches Verhalten wird man ihnen dennoch nicht vorwerfen. Denn die Weihnachtsinsel-Bewohner haben es mit ganz besonderen Wanderern zu tun, für die andere Maßstäbe gelten als für gewöhnliche Touristen in Wanderstiefeln oder Fußgängerzonenbummler.
Die speziellen Wanderer von Christmas Island sind Millionen zum Teil handflächengroße rote Krabben, die immer zur Weihnachtszeit über die 135 Quadratkilometer große, zu Australien gehörende Christmas-Insel marschieren und wie eine biblische Heuschreckenplage über das abgelegene Eiland herfallen. Die Krabbenwanderung über Christmas Island – nur gut dreihundert Kilometer südlich der indonesischen Insel Java, aber rund zweitausendfünfhundert Kilometer von der nächsten australischen Großstadt Perth entfernt und im Indischen Ozean gelegen – ist einzigartig in der Welt: Die paarungswilligen Tiere wandern dort alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit quer über die Insel zu ihren Eiablageplätzen. Den Rest des Jahres leben die vergleichsweise großen Allesfresser zurückgezogen in selbst gegrabenen Wohnhöhlen im Regenwald der Insel – sehr viel mehr weiß man über die Wanderkrabben nicht.
Wenn sie über Fahrbahnen krabbeln, kommt das für viele der Tiere einem tödlichen Unterfangen gleich. Da die wehrhaften Kerle in der Regel nicht flüchten, sondern beide Zangen als Drohgebärde auseinanderbewegen, wenn Gefahr droht, werden sie oft von Lastwägen überfahren. Autofahrer versuchen zuweilen auszuweichen: Sie fahren dann, als wären sie betrunken. Aber dennoch gelingt in dieser Zeit kaum eine Fahrt ohne Krabbenfleisch im Reifenprofil.
Manchmal muss der Fahrer nach etlichen laut knackenden Krebspanzern aber auch die Werkstatt aufsuchen. Die kantigen Scheren der Tiere können sich nämlich sogar in Autoreifen bohren. Bis zu zwanzig Patschen werden pro Tag auf der Insel gezählt – bei rund tausend gemeldeten Fahrzeugen ein hoher Wert. Der wird zwar von der Anzahl der überfahrenen Krabben bei Weitem übertroffen, was aber dennoch kein Grund zur Sorge ist: Es gibt mehrere Millionen Krabben auf Christmas Island, da fallen ein paar Tausend Verkehrstote kaum ins Gewicht. jochen müssig
- Die Insel: Der britische Kapitän William Mynors entdeckte sie 1643: „Wir haben ein unbekanntes Eiland erreicht, dessen Küste rot von Krabben ist.“ (christmas.net.au)
- Keine Mahlzeit: Für Menschen sind die Krabben ungenießbar, selbst wenn man sie lebend in kochendes Wasser wirft
- Aufräumarbeit: Abends beginnt das große Fressen für alle, die Krabben-Aas zu schätzen wissen: Geier, Reiher, Möwen