Am Sporn des italienischen Stiefels: Im Dorf der Trulli
Die hübsche Ragazza ruft ein „Buon giorno!“ in Richtung des alten Mannes, der gegenüber im Schatten auf einem Bänkchen vor seinem Trullo sitzt. Wenn man diese vielen Trulli sieht, denkt man: Jetzt kommt gleich ein Schlumpf heraus. Aber von wegen: Darin wohnen ganz normale Leute. Apulien ist zwar kein Armenhaus wie die Nachbarregionen Basilikata oder Kalabrien, aber aufs Geld schauen musste man dort auch schon immer, reich sind die wenigsten. Deshalb sind diese putzigen, runden Zipfelmützenhäuschen entstanden. Trulli wurden gebaut, um der Steuer zu entgehen. Denn nur viereckige Häuser wurden im 17. Jahrhundert besteuert. Für runde Häuser fand sich kein entsprechender Paragraf in den Gesetzbüchern.
Das Zentrum der Zipfelmützenhäuser ist Alberobello: Der komplette Altstadtkern besteht aus runden Häusern, weiß gekalkt mit grauem Dach und heidnischen oder christlichen Symbolen darauf. Was wie ein bewohnter Märchenpark wirkt, wurde zum Weltkulturerbe mit inzwischen entsprechendem Zulauf. Wer es ruhiger haben möchte, findet ähnlich schöne Häuser auch in und um Locorotondo.
Ob man das gesparte Geld hauptsächlich ins Abendessen gesteckt hat, ist nicht überliefert.
Sicher jedoch ist: Man kann in Italien kaum vielfältiger zu Abend essen als in Apulien. „Als kleiner Junge habe ich die Orecchiette gerne roh gegessen, wenn Mama weggeschaut hat“, erzählt Nicola Lenoci. Heute ist der 56-jährige Küchenchef in der „Masseria Torre Maizza“ in der Region Brindisi, der vielleicht schönsten Masseria in Apulien. „Die große Kunst bei den Orecchiette, der wohl interessantesten Form aller fünfhundert italienischen Pasta-Sorten, ist die Formgebung“, sagt Nicola. „Wer keine perfekten Orecchiette machen kann, wird nie und nimmer einen Mann bekommen, sagte meine Oma“. Nicola Lenoci und seine sieben Brüder hatten Glück. Ihre Frauen hatten der Nonna offensichtlich zugehört. Er nimmt ein Stückchen Nudelteig, drückt mit dem Zeigefinger in den Teig, bis der Boden sichtbar ist und zieht den Teig mit dem Finger leicht von sich weg – und fertig ist ein Öhrchen, so die Übersetzung.
Manchmal kommt man im Restaurant aber gar nicht dazu, Pasta zu bestellen, denn ehe man sich’s versieht, ist der Tisch voll mit Schälchen. Pulpo, Giuncata-Käse, Seeigel, Wild-Salami und mehr. Bezahlt wird nur, was man angerührt hat. Bis zu zwanzig Tellerchen und Schälchen, gefüllt mit zum Teil unbekannten Köstlichkeiten, stehen zur Auswahl und keiner verlässt das Ristorante als armer Schlucker. Wir wissen ja: Aufs Geld schauen mussten sie schon immer in Apulien. Ob Geld wirklich glücklich macht, weiß allerdings keiner so richtig.
Das Dorf der Millionäre
In Peschici können sie ein Lied davon singen. Dort hat eine große Tippgemeinschaft vor Jahren Lotto gespielt, den Jackpot geknackt und sage und schreibe etwas mehr als dreißig Millionen Euro abgeräumt. Erst vermutete jeder, der sich auch nur ein neues Fahrrad gekauft hat: „Ecco, da ist wieder einer: ein Millionär!“ Denn die Lotto-Millionäre blieben im Verborgenen, was Spekulationen Tür und Tor öffnete. Beim Friseur im Ort der Millionäre – der kennt dort schließlich alle – erfährt man, dass die Millionen die Einwohner entzweit haben: als Millionäre und Nicht-Millionäre. Zu den Gewinnern zählen Metzger Rinaldi, Hotelier Matteo oder Locanda-Betreiberin Beatrice. Der Friseur gibt meist weitere Namen preis, wenn man sich bei ihm die Haare schneiden lässt. Er selbst gehörte nicht zu den Gewinnern, gönnt sich aber trotzdem regelmäßig ein Fläschchen Aglianico: Der Barolo des Südens, der in verkarstetem, trockenen Boden wächst und in der Hitze ums Überleben kämpft.
Anreise Wien–Bari per Bahn (1 Umstieg), 16 Std. Austrian und Ryanair bieten Direktflüge an, Co2-Kompensation: 15 €. Vor Ort ist ein Mietwagen zu empfehlen, ab 25 €/Tag, sunnycars.com
Hotels
– Wohnen in einer Masseria? „Masseria Torre Maizza“ bei Fasano, luxuriöser und schöner geht“s nicht in Apulien, Top-Restaurant, Beach-Club, DZ ab 490 € (roccofortehotels.com).
– Wohnen wie ein Schlumpf im Trulli? „Hotel Ramapendula“ in Alberobello, etwas touristisch, aber originell, DZ ab 100 €, ramapendula.com-book.com
– Wohnen bei einem Millionär? „Hotel d“Amato“ in Peschici, modernes Vier-Sterne-Hotel in Strandnähe, DZ ab 125 €, hoteldamato.it
Spitzenwein Aglianico aus Apulien
1998 begann die Winzerfamilie Antinori, ihren Arbeitern zu sagen, Zweige mit besonders vielen und sattgrünen Blättern zu stutzen, um alle Energie in die Trauben zu lenken. Der Aufschrei war groß: „Wir verlieren viele Liter Wein“, riefen die Arbeiter empört. Doch das Ergebnis gab den Antinoris recht: Mit dem Aglianico kämpfte sich Apulien in die Spitzengruppe der italienischen Weinregionen.
Der elegante Aglianico wächst auf verkarstetem, trockenem Boden, die Traube kämpft ums Überleben, aber sie mag es so und sie mag es heiß
Puglia, so der italienische Name, beginnt ganz unten am Stiefelabsatz Italiens und zieht sich über 600 Kilometer nach Norden, bis zum Sporn, dem Gargano. Die Menschen sind ruhig, gelassen und gestikulieren nur halb so viel wie der Rest in Italien. Apulien trumpft anderweitig auf: mit stillen, bizarr geformten Felsbuchten im Gargano, ruhigen Fischerorten, wo der Tintenfisch so lange am bloßen Stein geklopft wird, bis er weich und zart ist.
Restaurants
- „Il Frantoio“ bei Ostuni, alte Ölmühle in ruhiger Lage in einem Olivenhain, sehr schöne Zimmer. Legendär: die achtgängigen Abendessen im Hof (www.masseriailfrantoio.it).
- Holzofenpizza in der „Locanda al Castello“ in Peschici; die Besitzerin Nonna Mattea gehört zu den Millionären des Dorfs, setzt aber den obligatorischen Limoncello zum Dessert immer noch selbst an (www.peschicialcastello.it).
- Orechiette im „Ristorante L“Olmo bello“ in Alberobello, das in einem Trullo untergebracht ist (www.ristoranteolmobello.it)
Oliven, Oleander, Orangen
Es gibt lange Sandstrände, den Nationalpark Murge oder die Tremiti-Inseln und das einzige achteckige Kastell der Welt, das Castel del Monte aus Hohenstauferzeiten, untypisch für die Region, aber Weltkulturerbe.
Es wachsen Hunderttausende Olivenbäume, Orangen und Oleander. Einige Masserie, alte Bauernhöfe, bieten Zimmer mit alten Möbeln, aber ohne Fernsehgerät und Minibar und teils auch liebenswürdigem, unaufdringlichem Familienanschluss: ob beim Sonntagsessen oder abends, wenn der Patrone mit einem Likör auf seine letzten Gäste wartet. Wie Armando, ein Freigeist von der „Masseria il Frantoio“: „Apulien ist manchmal wie eine Zeitmaschine – wenn man die Städte Bari und Brindisi außer Acht lässt. Zum einen, weil die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. Zum anderen, weil die übliche italienische Hektik zugunsten apulischer Geruhsamkeit wegfällt“. Er hebt sein Glas und wünscht „Buona notte!“