Leben/Gesellschaft

Vom Zauber alter Fahrräder

"In meiner Kindheit warst du wer mit einem Rad", erzählt René Winkler in seiner Werkstatt, die er in einem Hietzinger Stadtbahnbogen neben dem Wien-Fluss eingerichtet hat. Er bekam als Siebenjähriger einen speziellen Roller, der sich dank eines Aufbaus in ein Fahrrad verwandeln ließ. Damit war er zu Beginn der 1960er-Jahre in der Arbeiterstadt Schwechat ein Prinz.

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Zeitzeuge Winkler ist einer von vier Fahrradverrückten, die gerne in die Pedale treten und darüber hinaus Fahrräder sammeln und reparieren. Zu viert sind sie 200 Jahre alt, so alt wie die erste Draisine, deren Erfindung in diesem Jahr mit zahlreichen Veranstaltungen (siehe Kalender unten) gewürdigt wird. Ein Mal im Monat treffen sie sich zum Fachsimpeln und Schmähführen.

Reparatur mit Suchtfaktor

Das Fahrrad hat den gelernten Versicherungsmakler und Kaffeehausbesitzer bis in die Pension begleitet. Er hat viele schöne Radtouren unternommen, viele frohe Stunden hat er auch in seiner Werkstatt verbracht. So wie seinen Freunden gibt es auch ihm Berge, wenn er einen halbtoten Drahtesel wieder zum Leben erweckt. Das Leben hat ihn gelehrt: "Hast du einmal ein Rad erfolgreich repariert, bist du bereits mit dem Virus infiziert."

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Sein Freund, ein leitender Wiener Magistratsbeamte, nickt vehement. AuchWerner Schusterfuhr als Kind ein RWC, ein Fünf-Gang-Rad in Lila. Mit den 7000 Schilling, die er als Ferialpraktikant bei der Post verdient hat, kaufte er sich später in Italien sein erstes Rennrad. "Ein Pinarello." Die Augen des Obersenatsrats leuchten so hell wie die Sonne über den Bergen, die er bezwungen hat. Fünfzig Alpenpässe hat er mit dem Rennrad bereits hinter sich gelassen. Der 59-Jährige freut sich wie damals: "Das Pinarello hab’ ich immer noch. Ich hüte es wie Dagobert Duck seinen ersten Glückstaler."

Radfreie Zone Wohnzimmer

Und irgendwann kam die Sammelleidenschaft hinzu. Seither verbringt Werner Schuster viel Freizeit auf Flohmärkten, in Archiven und Bibliotheken sowie in seiner Scheune im Burgenland, die er mit gut hundert Rädern bestückt hat. Andere sammeln alten Wein, er sammelt alte Rennräder. Über deren Magie sagt er: "Es ist diese unerträgliche Leichtigkeit beim Bergauffahren. Auch waren die Rennräder immer schon Technologieträger."

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Sein FreundMartin Strubreiternickt. In seinem Brotberuf schreibt der Journalist schöne Geschichten über schöne Autos. Doch er sagt auch Sätze wie jenen: "Auch Fahrräder sind schöne Fahrzeuge." Daher sammelt er in seiner Freizeit neben Autos auch Räder. Die meisten seiner Zweiräder parken übrigens im Keller, einer Vereinbarung mit seiner Freundin folgend, die wohl aus gutem Grund das Wohnzimmer zur radfreien Zone erklärt hat.

Das alte Rennrad vom Vater

So wie seine Freunde hat auch Strubreiter seine Rad-Passion schon in der Kindheit entdeckt. Draußen in Inzersdorf erfand er mit Freunden eine Frühform des Recyclings: "Wir haben alte Räder aus den Müllcontainern gefischt und uns neue Räder gebaut." So ging die Moped-Zeit an dem jungen Schrauber spurlos vorüber. "Mit 18 fuhr ich dann eine 2CV-Ente und weiterhin Rad." Später übernahm er das alte Rennrad von seinem Vater. Wieder leuchten in der Radwerkstatt die Augen: "Ein Modell aus dem Jahr 1944."

Das Besondere an der Fortbewegung auf zwei Rädern beschreibt der 49-jährige Auto-Journalist so: "Weil die Kraft aus mir kommt und weil ich mit dem Rad überall stehen, überall parken kann."

Eine ähnliche Beziehung zu Autos und Rädern hat der Vierte im Bunde, der Buchverleger Richard Hollinek. Er hat den Familienbetrieb (seit 1873) in Purkersdorf von seinem Vater in fünfter Generation übernommen. Der Verlag Hollinek ist unter anderem für seine aufwendig produzierten Bücher über alte Kraftfahrzeuge bekannt. Zuletzt fiel man durch einen edlen Band über die glorreiche Geschichte der Wiener Fahrradmechaniker auf.

Ein Stück Zeitgeschichte

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Und es kommt vor, dass man Hollinek junior auf dem Weg zur Arbeit durchs Wiental oder bei historischen Radrennen im Weinviertel auf unglaublich schönen alten Rennrädern vorbeiflitzen sieht. Zuletzt hat er ein besonders wertvolles Teil bei einem Online-Flohmarkt erworben. Er zeigt auf das Rad, das er heute in der Werkstatt geparkt hat. Und auch seine Augen verraten pure Freude, während er erklärt: "Mit diesem Bahnrad hat der Döblinger Optiker Günter Binder 1966 und auch 1967 die österreichische Meisterschaft gewonnen."

Respekt. Respekt. Die anderen Sammler freuen sich mit ihm. Neid zählt definitiv nicht zu den Eigenschaften der Rad-Nostalgiker.

Vor 200 Jahren erfand der Forstbeamte Karl von Drais ein einspuriges Fahrzeug, das er selbst als „Laufmaschine“ und die Nachwelt „Draisine“ nannte. Mit diesem Ur-Fahrrad fuhr er am 12. Juni 1817 von seinem Mannheimer Wohnhaus zum etwa 7 km entfernten Schwetzinger Relaishaus – und wieder retour.

Ausstellung in Eisenstadt

Die historische Ausstellung „Bewegte Geschichte auf zwei Rädern“ zeigt etliche Exponate des aus Rust stammenden Sammlers Johann Schneeberger. Sie startet am 23. Juni im Projektraum der Landesgalerie in Eisenstadt und läuft bis zum 12. November. Nähere Infos: http://landesgalerie-burgenland.at

Ausstellung in Retz

Auch das Fahrradmuseum in Retz, liebevoll vom Verein „'s Fahrradl im Schloss“ gestaltet, widmet sich dem Jubiläum. Im Museum unter dem Schüttkasten von Schloss Suttner- Gatterburg sind Lauf-, Tretkurbel-, Hoch- und Niederräder ausgestellt. Nähere Infos: www.fahrradmuseum.at