Nostalgie: Dinge, die wir niemals entrümpeln würden
Kermit der Frosch hat schon etwas trübe Augen und wirkt insgesamt nicht mehr ganz frisch. Wenn seine Mitbewohnerin ihn so im Bücherregal sitzen sieht, denkt sie an die Sonntagabende vor mehr als vierzig Jahren mit ihrem Vater und der Muppet-Show im Fernsehen.
Kermit lässt sich, ähnlich wie seine Kollegen aus dem soeben im Kino angelaufenen neuen Toy-Story-Film, nicht widerspruchslos auf dem Dachboden verramschen. Ebenso wenig wie der Radiowecker, der einst auf dem elterlichen Nachtkastl stand, oder die zerdepschte alte Zuckerldose. Und das, obwohl Aufräumwahn und Zwang zu Perfektionismus und Selbstoptimierung ständig dazu mahnen, uns „von Altem zu trennen“ und „neu durchzustarten“.
Fotoalbum, Schallplatte und auf Papier Gedrucktes gelten dank Digitalisierung seit Jahren als Auslaufmodelle. Zwar feiert Vinyl derzeit ein immer lauteres Comeback und auch gedruckte Bücher legen wieder zu, aber die Angst um das geliebte Glumpert bleibt: Omas Spitzendeckerl ist leider nicht Instagram-tauglich, Marie Kondo und andere Kleiderschrank-Beauftragte haben uns verboten, Ungetragenes, aber trotzdem Geliebtes weiterhin im Kasten herumkugeln zu lassen und der Ausmistwahn hat die Second-Handläden zum Überquellen gebracht.
Dabei wurde schon vor Jahren vorschriftsmäßig ausgemustert, denn bereits die Feng-Shui-Berater predigten: „Unordnung belastet und hindert den Energiefluss“.
Das schöne Wortpaar „kreativ“ und „Unordnung“ wurde demzufolge auf „Gerümpel“ und „Chaos“ umbenannt. Und wer die Entwicklung von Technologie und Design beobachtet, stellt fest, dass Mensch und Hightech immer mehr zusammenwachsen. Die Objekte um uns herum drohen zu verschwinden, werden ausrangiert und abserviert.
Krempel hier, Energiestau da: Die Lebensart-Redaktion widmet all den wertlosen Uhren, kitschigen Postkarten und nicht zuletzt Mutters alter Schallplattensammlung an dieser Stelle eine Liebeserklärung. Und weil es in dieser Geschichte ums Aufheben geht: Diese Doppelseite heben wir uns wohl alle auf.
Übrigens: Kleiderschrank-Profi Marie Kondo hat jetzt Kinder und kommt auch nicht mehr zum Aufräumen.
Omas Küchenwaage rettet noch so manchen Kuchen
Die Küchenwaage meiner Oma steht auf meinem Bücherregal und ein Blick darauf katapultiert mich verlässlich in ein anderes Zeitalter. Ich bin wieder als Kind in Omas Küche, sehe die Waage im Küchenschrank, rieche den Duft aus Vanillezucker und Gewürzen. Und dann fallen mir Omas Hände ein, wie sie Zutaten mit bedächtigen Handgriffen in die Waagschale leert und diese in den großen Weitling kippt. Kurz: Omas Küchenwaage ist Teil meiner tiefsten und ältesten Erinnerungen. Schon für meine Mutter war diese Waage ein Bestandteil ihrer Kindheit. Ich habe einige Erinnerungsstücke an meine 2000 mit 96 Jahren verstorbene Oma Aurelia Gassner, weil mir diese Frau sehr nahe stand. Aber die Küchenwaage ist ein Stück, das in meiner Wiener Wohnung einen Ehrenplatz bekommen hat. Dabei war sie nie ein Schau-Stück. Die Waage (vermutlich aus den 1930er-Jahren) ist abgegriffen, die Farbe stellenweise abgeblättert; einer der Metallfüße muss einmal abgebrochen sein und wurde gelötet. Vielleicht von meinem heute 90-jährigen Onkel, schon als Bub ein Bastler. Was mir als in analogen Zeiten Aufgewachsene besonders gefällt: Omas Waage hat so viele Jahrzehnte am Buckel – aber ihren digitalen Nachfolgern ist sie haushoch überlegen. Wenn die Batterie meiner Waage mitten im Kuchenbacken am Sonntag den Geist aufgibt, hat Omas noch immer funktionierende Waage nicht erst einmal den Kuchen gerettet.
Ingrid Teufl
Der einzige Schatz eines sehr kleinen Mannes
Ich trage die Armbanduhr meines Großvaters, sie stammt aus den 1930er-Jahren, Marke Preciso. Sie ist nicht wertvoll – auf Ebay gibt es ähnliche Stücke um 25 Euro – und auch nicht besonders praktisch. Sie muss täglich aufgezogen werden und wird im Lauf des Tages ein bisserl langsamer, sie geht immer fünf Minuten nach. Ich weiß leider nichts über ihre Herkunft, ich kann meine Eltern und auch meinen Opa nicht mehr fragen. Was ich über ihn weiß: Er war ein sehr kleiner Mann, der gerne Jockey geworden wäre. Er wurde dann Oberkellner im Rathauskeller, damals ein ehrwürdiges Restaurant. Er war letztlich sehr stolz auf seinen Beruf und wohl auch auf den einzigen Schatz, den er besaß: seine Armbanduhr.
Barbara Mader
Der Lack ist ab, der Matchbox-Glanz bleibt
Die mintgrüne Farbe ist an den Ecken längst abgeschürft, das Abziehbild einer Kuh auf der winzigen Fahrertür kaum mehr erkennbar. Die grünen Scheiben sind intakt, die vier silberfarbenen Plastikreifen noch dran. Doch die Achsen quietschen erbärmlich, wenn ich das 57 Millimeter lange Milchwagerl zwischen Daumen und Zeigefinger nehme, schiebe und dann mit einem Schubs losflitzen lasse. Wie ich es als Kind getan habe. Commer Bottle Float made in England No 21 steht auf dem Unterboden. Das Spielzeug-Auto aus der „Matchbox-Series“ wurde zwischen 1961 und 1967/8 produziert. Es leuchtet nicht, blinkt nicht, piepst nicht. Es ist nicht batteriebetrieben, hat keinen USB-Anschluss. Und doch kann man damit spielen.
Im Internet erzielen alte Matchbox-Modelle (in gutem Zustand) hohe Sammlerpreise. Ist die Originalpackung vorhanden, erhöht dies den Wert. Auf Ebay wird No 21 teils um über 100 Euro feilgeboten. Soll ich deshalb verkaufen? Sicher nicht. Mögen sich später meine Kinder und Enkelkinder am Glanz alter Zeiten erfreuen.
Stefan Hofer
Die 60er: Als Tischdecken noch von Hand bestickt wurden
Das Wort Aussteuer ist genauso aus der Mode gekommen wie die Hochzeitslisten. Vor 60 Jahren war das noch ganz anders: Meine Mutter, Jahrgang 1941, hat fleißig für die Hochzeit gespart. Das Silberbesteck, das nur einmal im Jahr verwendet wurde, zeugt davon. Es wurde aber auch viel genäht und vor allem gestickt! So wie diese Tischdecke, deren Muster an die 60er Jahre und somit meine früheste Kindheit erinnert. Später lag das gute Stück dann zu Hause – unbenutzt. Als junge Studentin habe ich sie dann bei meiner Suche nach nicht mehr benötigtem Geschirr und Küchenutensilien entdeckt. In meiner ersten Wohnung machte sie den profanen Billigmöbelhaus-Tisch zu etwas ganz Besonderem – keine Massenware eben.
Das ist nun auch schon wieder viele Jahre her. Der Studententisch musste einem großen Familientisch weichen. Seitdem fristet die Decke ein Schattendasein im Keller, was ihr nicht besonders guttut, wovon die Stockflecken zeugen. Wegschmeißen kommt dennoch nicht in Frage. Wer weiß, vielleicht überkommen meine Kinder einmal nostalgische Gefühle? Dann ist die Stunde der bestickten Tischdecke wieder gekommen.
Ute Brühl
Von der Magie des Radiohörens
Alleine das Einschalten war im Vor- und Volksschulalter ein Erlebnis: Zart schimmerte das „magische Auge“ zuerst, ehe sich – sehr langsam – die zwei dunkelgrünen Leuchtfächer zusammenschoben. Je näher aneinander, desto besser der Empfang. Das Minerva-Radio Concord 567 U (Baujahr 1955/1956) der Großeltern war imposant: wunderschönes Holzgehäuse, drei Lautsprecher, fünf Wellenbereiche (Langwelle, Mittelwelle, zwei Mal Kurzwelle und UKW) und eine große, beleuchtete Anzeigetafel. Mit den unzähligen Standorten von Mittelwellensendern vermittelte sie etwas von der Größe Europas – und konnte ewig studiert werden, etwa während des „Mittagsläutens“ der Kirchenglocken zu Beginn von „Autofahrer unterwegs“: Aufschriften wie Athlone (Irland), Beograd, Beromünster (Schweiz), Droitwich (England), Firenze, Katowice, Mte. Carlo, Rias Berlin, Roma oder Zagreb zwangen dann einfach dazu, auf „MW“ zu drücken und den großen Drehknopf zur Sendersuche zu bewegen. Ein rauschendes Stimmen- und Sprachengewirr war die Folge. Auf einem Dachboden hat das Radio Jahrzehnte überdauert. Ein Mitgliedsbetrieb des Reparaturnetzwerkes konnte es fachgerecht wiederherstellen. Das mittelwellige Stimmengewirr ist allerdings weniger geworden, viele Sender wurden abgeschalten. Dafür gibt es heute Internetradio – mit grenzenloser globaler Senderwahl und rauschfreiem Ton schon auch eindrucksvoll. Nur das magische Auge und die leuchtende Anzeigetafel fehlen.
Ernst Mauritz
Weil Stofftaschentücher unersetzlich sind
Zu den Errungenschaften des angenehmen Lebens gehören Papiertaschentücher. Eine Schnupfennase will sich trocken betten, die Haut ist bei einer Verkühlung schnell genug irritiert. Außerdem tun die vier Lagen gute Dienste, wenn ein blutiger Finger versorgt werden soll. Wenn keine Serviette zur Hand ist. Wenn die 100er-Box Kosmetiktücher leer steht. Wenn die Natur ruft. Kurzum: Wenn wisch und weg gefragt sind.
Und dann gibt es noch Stofftaschentücher. Mein blaues Sortiment ist ein Relikt aus Kindertagen. Seit Jahren liegt es ungenutzt nächst der Weißwäsche im Kasten. Manch Erbstück trägt sogar „mein“ Monogramm. Dem Hans Onkel sei Dank.
Die besten Stofftaschentücher leben aber bei meiner Mutter. Seit ich denken kann; immer noch. In den 1960er-, 70er-Jahren, als ich richtig jung war, steckte eine quadratische Megaversion in ihrer Küchenschürze; ein Hauch von Altrosa, rot gestreift. In ihrer Ausgeh-Handtasche wohnte ein vornehmes Tüchlein – hellgelb und stets gebügelt. In den Hosensäcken herrschte ein Kommen und Gehen.
Wozu meine Mutter den geduldigen Stoff strapazierte: Um vier Kindern die Nasen zu putzen, notfalls quer durch die Bank. – Und um Tränen zu trocknen. Das tut sie heute noch.
Hedwig Derka
Platten haben nichts mit Musik zu tun
Als Kind konnte ich mir keinesfalls vorstellen, dass mir Platten einmal abgehen. Ich bin als 1977-Geborener von jener auditiven Generation, in der auf Plattenspielern nur die Musik der Eltern lief – in meinem Fall Mamas Lieblinge Luciano Pavarotti (Funiculì, Funiculàààààààààààà!) und Stefanie Werger (Stoark wia a Fööööösn!). Die eigene Musik lief auf Kassette (das legendäre mixed tape, ach), bald ausschließlich auf der Compact Disc. Platte fad, CD cool, so einfach war die Welt in den späten 1980ern.
Aber die CD lebte kaum länger als das Hohe C von Pavarotti. Mit dem raschen Untergang der Ikone musste meine Generation zurechtkommen, hatten wir ihr doch die Plattensammlungen unserer Eltern geopfert. Jeder hatte seine Strategie damit umzugehen, ich hörte eigentlich nur mehr Zufallsmusik, vor allem aus dem Radio.
Als meine Mama vor vier Jahren ins Pensionistenheim wollte und sich damit ihr Lebensraum halbierte, musterten wir aus. Wir wischten den Staub von den Platten, denn natürlich hatte auch die Elterngeneration bald dem CD-Player den Vorzug gegeben (und konnte fortan die Werger-Lieblingsnummer per Fernbedienung immer wieder von vorne beginnen). Mama trennte sich nur schwer von den Platten und dem Spieler, was man ganzheitlich sehen muss: Ein beträchtlicher Teil ihres Wohnzimmer-Wandverbaus war damit dreißig Jahre lang belegt gewesen. Das vorderste Cover (in dem Plastikgestell, Sie erinnern sich?!) war wie ein Bild an der Wand: immer vor den Augen, aber schon lange nicht mehr wirklich angeschaut.
„Aber wegschmeißen kann man die nicht“, sagte sie und es klang sehr viel Wehmut durch.
„Aber nein. Ich nehm mir die Sammlung. Und den Plattenspieler.“
Ich habe neue Nadeln für das Gerät gekauft. Alle Platten abgewischt, die Hüllen geklebt. Alles in meinem Wohnzimmer positioniert wie Souvenirs aus einem anderen Leben. Ich hörte sie durch und musterte nur die schlimmsten aus.
Werger und Pavarotti waren nicht darunter.
Axel N. Halbhuber
Print lebt!
Am Anfang stand die Intimfrisur. So hatten sich meine Eltern das mit dem KURIER-Praktikum wohl nicht vorgestellt. Stolz waren sie trotzdem, als mein Name im Februar 2011 – ich war 20 und mitten im Journalismus-Studium – zum ersten Mal in der Autorenzeile einer Zeitung stand. Auch, wenn die Geschichte darunter von Brazilian Waxing und Vagina-Dampfbädern handelte. Es war der erste von vielen Artikeln, die ich für den KURIER schreiben durfte (Anm.: Nur ein Bruchteil widmete sich dem Schambereich). Es ist der einzige, den ich „analog“ aufbewahre. Opa Pfligl, treuer KURIER-Leser, bekam die Zeitungspremiere seiner Enkelin übrigens nicht mit. Wundersamerweise erreichte just diese Ausgabe nie seinen Frühstückstisch.
Julia Pfligl
WhatsApp killed the Ansichtskarten-Star
Leser der sonntäglichen Reise-Genuss-Beilage wissen es: Ich habe einen Ansichtskarten-Vogel. Das Schreiben dieser ist eine fast vergessene Kunst. WhatsApp macht’s obsolet – jeder schickt seine Urlaubseindrücke in der Sekunde nach Hause. Ich versuche trotzdem, diese am Abgrund stehende Industrie am Leben zu halten und habe eine Disziplin daraus gemacht. Es gewinnt, wer die hässlichste Postkarte findet. Im Idealfall kommt sie mit einem kreativen Text daher, der weder Wetter noch Essen thematisiert und ins Absurde driftet.
Sie haben völlig recht, wenn Sie sagen: Was ist schon schiach? Das liegt natürlich im Auge des Betrachters, aber schauen Sie doch beim nächsten Urlaub wieder einmal genauer hin, dann wissen Sie, was ich meine. Und: Suchen Sie die hässlichste aus und schicken Sie sie mir! (KURIER Reise, Leopold-Ungar-Platz 1, 1190 Wien)
Caroline Kaltenreiner
Das Kasterl, das eine dritte Chance verdient
Blankes Entsetzen spiegelte sich im Gesicht meiner Mutter, als ich ihr bei meinem jüngsten Umzug eröffnete, meine Schuhe in aufgetürmten Schachteln aufbewahren zu wollen. Die lästigen Staubfänger müssen weg, ein Schuhregal her, so ihr Urteil.
Ich versuchte zu beschwichtigen: Bei Gelegenheit würde ich eines besorgen. Da Bücher und Geschirr in meiner Wohnung ein ähnlich organisiertes Dasein fristen, ahnte sie, dass diese niemals kommen würde. Wenige Tage später präsentierte mir meine Mutter via WhatsApp ihre Lösung des Problems: ein massives, dunkles Holzkasterl, das sie aus dem Haus meiner Großeltern gerettet hatte, bevor es abgerissen wurde. Ich war von der Vorstellung des Möbels in meinem Flur wenig angetan.
Sie schickte ein weiteres Foto: Es zeigte meinen Vater, der das Kasterl im Garten abschliff; einen neuen, hellen Anstrich und einen passenden Vorhang sollte es auch bekommen. Gerührt von der Hartnäckigkeit, ließ ich das Kasterl bei mir einziehen. Und hoffe seitdem inständig, dass meine Eltern im Keller keinen ausrangierten Einbauschrank finden.
Elisabeth Mittendorfer