Nicht-monogam: "Es geht nicht ums Herumvögeln, sondern um Respekt"
Mit dem Begriff " Polyamorie" identifiziere ich mich nicht gerne. Weil auch Ideen und Vorstellungen mitschwingen, die ich nicht unterschreiben kann. Wenn man zehn Personen fragt, was sie darunter verstehen, wird man zehn verschiedene Antworten bekommen. Meine Einstellung zu Beziehungen definiere ich als nicht-monogam. Das kann von einer offenen Beziehung bis hin zu Beziehungen mit mehreren Menschen unterschiedliche Formen annehmen.
Mir geht es darum, Vorstellungen, mit denen ich aufgewachsen bin und die ich daher als gegeben hingenommen habe, zu dekonstruieren. Durch das Vorleben der Eltern und anderer Erwachsener, durch die Medien und durch gesellschaftliche Strukturen werden Bilder erzeugt, nach denen Monogamie die Norm ist. Für mich ist das keine Norm, in der ich leben möchte. Der erste Schritt hinaus ist festzustellen, dass es etwas anderes als Monogamie gibt und die Strukturen, in denen wir leben, gemacht sind und geändert werden können. Dafür braucht es Reflexionsprozesse.
Offener Raum
Wenn ich einen Menschen kennenlerne, setze ich mich damit auseinander, was zwischen uns ist und was ich von der Person möchte. Das kann sich auf verschiedenen Ebenen abspielen, zum Beispiel auf einer intellektuellen, einer körperlichen oder einer emotionalen. Wichtig ist, dass es einen offenen Raum für diese Überlegungen gibt.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es in monogamen Beziehungen immer wieder viele unausgesprochene Vorstellungen gibt, wie eine solche auszusehen hat; etwa dass man ein Kind bekommt, vielleicht ein Haus baut.
Meine erste Beziehung war so eine klassisch monogame. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich keine Idee davon, dass es andere Konzepte gibt. Bis ich mich vor zwei Jahren in einen Mann verliebt habe, der bereits eine Partnerin hatte. Er hat von Anfang an klargestellt, dass er nicht-monogam lebt. Ich finde nicht, dass das weniger anstrengend ist, aber es ist auf jeden Fall lohnend. Auch wenn ich mit dem Mann nicht mehr zusammen bin, war es für mich der Anstoß, mich stark mit mir auseinanderzusetzen und mein eigenes Handeln zu hinterfragen. Ich denke, ich gehe nun mit Menschen achtsamer in allen Lebenslagen um. Ich will auch meinen beiden Töchtern, die fünf und drei Jahre alt sind, etwas anderes vorleben. Sie wachsen in Strukturen auf, zu denen ich ihnen Alternativen aufzeigen möchte.
"Natürlich gibt es auch Leute, die dieses Beziehungskonzept missbrauchen und als Freibrief sehen."
Ich gehe mit meiner Art zu leben nicht hausieren, bin aber nicht bereit, Halbwahrheiten zu erzählen. Noch immer ist das Vorurteil verbreitet, dass Menschen, die sich für ein unkonventionelles Liebesbeziehungskonzept entscheiden, machen, worauf sie Lust haben und in der Gegend herumvögeln. Dabei geht es genau um das Gegenteil: Einen respektvollen Umgang miteinander, bei dem man auf die Bedürfnisse des anderen Rücksicht nimmt.
Wie in jeder Beziehungsform gibt es auch in polyamoren Verbindungen missbräuchliche Strukturen, etwa, dass ein Partner sich selbst andere Freiheiten herausnimmt, als er dem Partner zugesteht. Von Beziehungen mit solchen Dynamiken halte ich mich fern. - Valerie
Glossar
BDSM: sexuelle Praktiken (Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism), die im Zusammenhang mit Beherrschung und Unterwerfung stehen; wichtig für alle Beteiligten ist das Credo "safe, sane and consensual", was übersetzt so viel wie "sicher, vernünftig und einvernehmlich" bedeutet.
Polyamorie: Übersetzt heißt das "viele" (poly) "Lieben" (amores). Dabei können mit dem Wissen und dem Einverständnis aller Beteiligten emotionale und sexuelle Beziehungen zu mehreren Menschen gleichzeitig gelebt werden.
Offene Beziehung: Innerhalb einer Zweierbeziehung haben beide Partner die Freiheit, mit anderen Personen Sex zu haben. Anders als bei
Polyamorie wird zu den Partnern außerhalb der Ausgangsbeziehung im Regelfall keine emotionale Bindung aufgebaut.