Leben/Gesellschaft

Warum Mütter einen tollen Job machen

Super, Mama. Heute ist der Tag, an dem Mütter besonders geliebt und gelobt werden. Und die restlichen 364 Tage? Da hören Mütter, was sie nicht alles falsch machen.

Bücher wie "Wenn Kinder zu Tyrannen werden" oder "Die Erziehungskatastrophe" sind Bestseller. Auch die Wissenschaft sorgt für schlechtes Gewissen: Erst vor Kurzem erschien eine Studie mit dem Titel "Besorgte Mütter machen Kinder krank". Eine andere klingt dann so: "Wer sein Kind zu häufig lobt, macht es zum Narzissten". Müttern wird vieles umgehängt – etwa der Lernerfolg des Nachwuchses. Ist ein Kind schlecht in der Schule, hat Mama nicht genug mitgearbeitet. Fordert sie viel, beschimpft man sie als "Tiger Mum". Geht die Frau Vollzeit arbeiten, vernachlässigt sie die Kinder, warnen Familienverbände. Bleibt sie zu Hause, verzichtet sie auf ihre Karriere, schreien Feministinnen. "Die Erwartungen an Eltern sind gestiegen", beobachtet der Berliner Soziologe Lothar Krappmann vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Wissenschaftliche Erkenntnisse zu den positiven Auswirkungen früher Förderung verschärfen das Dilemma. "Denn damit steigt die Angst, was zu versäumen oder falsch zu machen." Aber: Alles richtig zu machen, ist unmöglich. "Muss man auch nicht", beruhigt Dreifachmutter Carmen Jeitler.

Zu viel Wissen verunsichert

Zwar wissen wir so viel wie nie zuvor über die Entwicklung von Kindern – "doch die Bücher machen Mütter nur nervös", sagt Jeitler. Gut, dass manche Autoren nun gegensteuern – wie etwa Alfie Kohn, der mit Erziehungsmythen und Klischees von Helikopter-Müttern oder Tyrannenkindern aufräumt (siehe Bildergalerie):

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„Viele Frauen haben den Anspruch perfekt zu sein. Im Job, in der Familie, als Frau, Mutter, Tochter. Das ist grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn es bedeutet, alles so gut wie möglich zu machen. Perfektionismus kann aber auch hemmend wirken – genau das Gegenteil bewirken. Dann, wenn man den Anspruch an sich selber und seine Umgebung so hoch schraubt, dass niemand mehr mitkann.
Ich bin sicher nicht perfekt – ich will es auch gar nicht sein. Aber ich weiß, was ich will. Ich wollte immer Kinder haben, ich wollte immer einen interessanten Job ausüben. Beides habe ich mir erfüllt, weil ich eine Entscheidung dahingehend getroffen habe. Damit ist mein Leben anspruchsvoll, lustig, anstrengend, liebevoll – einfach bunt und vielfältig. Aber sicher nicht perfekt.

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Auch ich stecke manchmal im Chaos und weiß nicht, was ich zuerst erledigen soll. Daher bin ich froh, dass mein Mann und meine Eltern mich immer unterstützt haben. Viele Frauen managen den Alltag alleine – davor habe ich höchsten Respekt.
Ich denke, nicht übertriebener Perfektionismus sollte ein Antrieb sein, sondern Frauen sollten vielmehr stolz darauf sein, was sie jeden Tag leisten. Frauen tun so vieles, um die Kinder, die Familie, den Beruf, den Alltag zu managen – vielfach hinter den Kulissen, also unbemerkt.

Frauen leisten jeden Tag viel

Sich als Frau bewusst vor Augen zu führen, was man alles an To do’s jeden Tag bewältigt– darum geht’s. Perfektionismus hat viel mit Schein zu tun. Eine Scheinwelt, oft von Medien aus welchen Gründen auch immer kreiert, die Frau erfüllen muss, um „dabei zu sein“. Das ist aber nicht die Realität. Die Realität heißt: „Bewältige das Chaos“.
Situationen wie – wichtiger Termin, die Kinder rufen im Minutentakt an, weil das Haustier krank ist oder, die Babysitterin ist krank und Pflegeurlaub muss genommen werden – der Job von zu Hause aus erledigt und und und – Situationen, die jede von uns kennt uns schon erlebt hat.
Den chaotischen Alltag mit einer Portion Entspanntheit, Einfallsreichtum, Schnelligkeit, Flexibilität und Zähigkeit zu bewältigen – darum geht’s! Und darauf können wir alle stolz sein. Dabei noch wunderschön zu sein und ein Lächeln auf den Lippen zu haben – das wäre perfekt. Aber nicht real.“

Arabella Kiesbauer ist Kindern und Eltern als Moderatorin des Kiddy Contest bekannt. Die zweifache Mama wird am 23. Mai den Eurovisions-Song-Contest in Wien präsentieren – gemeinsam mit den beiden Jung-Müttern Mirjam Weichselbraun und Alice Tumler. Dem KURIER erzählte sie, was ihr bei ihrer Rolle als Mutter hilft:
„Unsere Zwerge sind mittlerweile sieben und vier Jahre alt, aber ich erinnere mich, dass wir vor der Geburt unserer Tochter relativ viel Literatur gekauft haben, um uns perfekt in das für uns neue Thema einzulesen. Die meisten Bücher haben wir dann auch gleich nach den ersten Kapiteln wieder weggelegt, weil sie so gar nicht zu uns gepasst haben.
Und dann gab es ein Buch, das unser Leitfaden wurde, dem wir viel verdanken und das wir bis heute gerne in unserem Freundeskreis empfehlen: ,Mein Baby und ich’ von Beatrix Kruse. Die dort beschriebene EasyBaby-Methode plädiert dafür, den eigenen Fähigkeiten zu vertrauen – aber in Kombination mit Konsequenz und mit klaren Handlungsanweisungen.

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Das Motto: Je entspannter die Mutter, desto glücklicher das Baby. Dieses Buch nimmt den Druck perfekt zu sein, und beflügelt, seinen Kindern mehr Freiraum zu geben, damit sie sich zu selbstbewussten Persönlichkeiten entwickeln können. Der Ansatz ist modern, zielorientiert und bodenständig – die Erklärungen sind logisch und nachvollziehbar.

Fehler vermeiden reicht

Dieses Buch war vermutlich eine gute Basis und in Kombination mit dem Vermeiden der häufigsten Erziehungsfehler, viel Zeit und viele Liebe für uns ein wichtiges Erfolgskonzept.
Und diesem Muster versuchen wir bis heute zu folgen: wir fördern und fordern, bringen den Kindern viel bei und geben ihnen die Möglichkeit, Dinge selbst zu entdecken und so Erfahrungen zu machen. Und ich bin dankbar, dass ich so ganz nebenbei all das und noch viel mehr von diesen kleinen Menschlein lernen darf.“

Gleich vorweg: Ich würde es wieder tun. Mutter werden, nämlich. Es ist ein anstrengender Job, aber es ist ein guter Job – von Bedauern also keine Spur. In kaum einem anderen Bereich des Lebens lernt man so viel über sich selbst wie in der Mama-Rolle. Das ist übrigens einer der Gründe, weshalb ich am Muttertag nicht mich feiern möchte, sondern meine Kinder. Meinem Sohn (27), meiner Tochter (15) sei hiermit gesagt: Es ist gut, dass ich euch habe, dass es euch gibt, dass ich von euch lernen darf, dass ihr meine Benchmark fürs Leben seid. Aber freilich – der Mütter-Mythos wird verdammt überstrapaziert. Mütter sollen alles können – sanft sein, schön sein, klug sein, empathisch sein, in Sorge, aber dennoch gelassen.

Mach es besser!

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Ich weiß das, oja! Ich war 27, als meine Karriere als Mutter begann. Das Wort „Karriere“ steht hier nicht zufällig. Von Ehrgeiz gepackt, hatte ich bereits während der Schwangerschaft alle verfügbaren Babyratgeber gelesen und mir im Rahmen allerlei Kurse viel – zu viel – vorgenommen: Babymassage, Tragetuch, Stillen, bis der Arzt kommt und später: alles selbst kochen, alles bio. Dafür pilgerte ich zwei Mal pro Woche in den damals einzigen Naturkostladen der Stadt. Lief etwas nicht nach Plan – wurde das Kind krank, war es quengelig, schlief es schlecht – suchte ich die Verantwortung dafür bei mir. Eine innere Stimme raunte: Mach es besser, du bist einfach nicht gut genug.


Mein Leben wurde kompliziert – irgendwo angesiedelt zwischen Perfektionsirrsinn und Erschöpfung. Und auch als Frau floppte ich. Herauszufinden, weshalb ich meine Mutterrolle so sehr nach dem Leistungsprinzip anlegte, sagte mir sehr viel über mich selbst. So manche Erkenntnis, die in diesem Transformationsprozess aufpoppte, tat weh. Gleichzeitig wurde mir klar, wie schwer es mir fiel, gelassen zu bleiben. Darauf vertrauend, dass sich viele Dinge auch ohne mein Zutun und Tun positiv entwickeln würden. Jedenfalls war ich 13 Jahre später reflektiert genug, um bei der Tochter entspannter zu agieren – unterstützt durch einen Partner an meiner Seite, der sich an das Prinzip 50:50 hielt. Übrigens: Auch dem wünsche ich einen feinen Muttertag.

Gleich nach der Geburt wusste Tirtza, dass sie einen riesigen Fehler gemacht hatte: Das Muttersein bezeichnete die heutige 75-Jährige als Albtraum ihres Lebens. Sie fühlte sich in der Mutterrolle gefangen, bevor sie hineingewachsen war. 23 Frauen erzählten der israelischen Soziologin Orna Donath über ihre Reue darüber, Mutter geworden zu sein. Sie lieben ihre Kinder, doch seien sie in das Rollenbild hineingedrängt worden, ohne es zu wollen oder zu überlegen. Unter dem Hashtag #regrettingmotherhood gingen in den sozialen Medien die Emotionen hoch, viele Frauen fühlten sich durch die Studie bestätigt. Im Gespräch mit dem KURIER erläutert die Wissenschaftlerin ihre Studie.

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Wie viele Frauen denken ähnlich wie die Mütter in Ihrer Studie?
Das kann ich nicht herausfinden. Aber ich nehme an, es sind viel mehr, als die Gesellschaft uns annehmen lässt.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen dem Bedauern des Mutterseins und steigenden Erwartungen an die perfekte Kindererziehung?
Ja und nein. Viele Mütter leben heute unter strikten Vorgaben, die diktieren, wie sie sein, denken, fühlen, handeln und aussehen sollen, um als „gute Mutter“ wahrgenommen zu werden. Diese Vorgaben führen neben anderen Aspekten zu einem Konflikt zwischen persönlichen Bedürfnissen und Familienverpflichtungen. Aber das Bedauern hat nicht nur mit dem anstrengenden Alltag zu tun: Ich habe in der Studie auch Mütter, die ihr Bedauern sofort nach der Geburt gespürt haben, oder die nicht ständig mit den Kindern zusammenleben.

Glauben Sie, dass Muttersein in unserer modernen Welt eine größere Belastung geworden ist?
Wir können die strenge Definition einer guten Mutter nicht außer Acht lassen. Aber es gibt schon Schriften aus dem Mittelalter, die sich mit der Bürde der Elternschaft beschäftigen. Mein zentraler Punkt ist, dass nicht jede Frau eine Mutter sein möchte und mehr Frauen ihre Sicht der Dinge ausdrücken können. Vielleicht ist das die wichtige Veränderung.

Warum hat Ihr Artikel solche Wellen in den sozialen Medien geschlagen?
Vor einem halben Jahr erschien ein Artikel über meine Arbeit in Israel, aber hier hat er nicht für eine solche Aufregung gesorgt. Nur in Deutschland sind die Emotionen speziell hochgegangen.

Man könnte den Eindruck bekommen, Sie wollen Frauen warnen, Mütter zu werden.
Das ist nicht mein Ziel. Ich kann und will Frauen nicht warnen, weil jede Einzelne anders ist und für viele das Muttersein das Wundervollste sein wird, das ihnen jemals passiert ist. Ich weiß auch nicht, was das Beste ist. Ich möchte die soziale Realität diskutieren, dass uns nicht alle Wege offenstehen – zum Beispiel, Nicht-Mutter zu bleiben. Und unter welchen Erfahrungen Frauen und Kinder leiden könnten, wenn wir alle in die Mutterschaft gedrängt werden, als ob jede Frau das könnte und wollte.

Glauben Sie, gibt es einen Trend zum Nicht-Mutter-Werden?
Ich spüre weder einen Trend zum Bedauern des Mutterseins noch zum Nicht-Mutter-Sein. In der Geschichte gab es immer Frauen, die aus verschiedenen Gründen keine Kinder bekommen haben. Aber ich hoffe, dass mehr Frauen ihre Meinung äußern können, ohne dafür verurteilt zu werden.

Warum haben Sie selbst keine Kinder bekommen?
Seit ich 16 Jahre alt war, wusste ich, dass ich nicht Mutter werden wollte. Meine Freundinnen haben über das Kinderbekommen gesprochen, und ich spürte, das ist nichts für mich, das ist nicht mein Traum. Die wichtige Frage ist nicht, ob ich oder andere Frauen kein Kind haben wollen. Sondern warum das im Jahr 2015 so für Verblüffung sorgt.

Für Beraterinnen sind unglückliche Mütter nichts Neues. „Natürlich kommt es vor, dass Frauen mit ihrer Mutterrolle nicht glücklich sind. Das ist wirklich eine undankbare Rolle“, erklärt KURIER-Family-Coach Martina Leibovici-Mühlberger. „Wir feiern den Muttertag ein Mal im Jahr, aber den Rest des Jahres schätzen wir ihre Tätigkeit nicht.“ In einer Leistungsgesellschaft wie unserer werde unbezahlte Arbeit wie die Erziehung von Kindern wenig geachtet. Aus Mangel an Wertschätzung erleben viele Frauen auch eine persönliche Abwertung.
Beim Verein „Frauen beraten Frauen“ will man den Hype um die Regretting-Motherhood-Studie entdramatisieren, erklären Bettina Zehetner und Katharina Ebert: „Jede Entscheidung, die die eigene Unabhängigkeit, die frei verfügbare Zeit so massiv einschränkt wie es die Mutterschaft in unserer Kultur tut, kann nicht nur als rosig erlebt werden. Wir wollen Frauen dazu ermutigen, den enormen Druck, den das utopische Ideal ,gute und glückliche Mutter‘ verursacht, zur Sprache zu bringen. “

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Die Aufregung um das Thema „Regretting Motherhood“ sei ein deutlicher Indikator für die Tabuisierung scheinbar negativer Gefühle in Bezug auf Mutterschaft, analysiert Zehetner: „In der Beratung trauen sich Frauen immer wieder, über ambivalente Gefühle in Bezug auf Nicht-/Mutterschaft zu sprechen. Das Gefühl ,Es ist nie genug‘ wird oft als ein ,Ich genüge nicht‘ erlebt.“

Lebenslänglich

Es gehe in der Diskussion jedoch nicht nur um die Nöte der Mütter, sondern die Entwicklung der Gesellschaft, sagt Leibovici-Mühlberger. „Ein Kind ist nicht wie ein Job, den man stundenweise übernehmen kann, sondern eine Verantwortung, die einem lebenslang bleibt. Man hat kein Rückgaberecht. Das erfordert die Bereitschaft zum Selbstverzicht und die Reife, die eigenen Interessen hintanzustellen.“
Sie sieht eine bedenkliche Entwicklung: „Wir brauchen uns nur die Geburtenstatistik ansehen. Da spiegelt sich wider, dass die Mutterschaft nur eines von vielen Lebenskonzepten ist. Die Naturgesetzmäßigkeit von Kinderkriegen ist erloschen.
Als „politisch inkorrekt“ bezeichnet Leibovici-Mühlberger ihre Schlussfolgerungen: „Wir leben in einer Individualisierungskultur und wollen die persönliche Entscheidungsfreiheit. Aber tief in uns ist ein biologisches Primat verankert, dass wir die nächste Generation schaffen. Und wir haben das Bild der ,Heiligen Mutter‘ mehr als in anderen Ländern verinnerlicht. Aber in unserer egoistischen Gesellschaft wird es immer unattraktiver, Mutter zu sein. Deshalb suchen jene, die sich gegen Kinder entscheiden, nach überzeugenden Argumenten.“