Leben/Gesellschaft

"Mom-Shaming": Nicht nur Meghan Markle wird angefeindet

Wagen wir zu Beginn ein Gedankenexperiment: Was wäre passiert, wenn Prinz Harry am Rande eines Polo-Spiels sein Baby in den Armen gehalten hätte? Vermutlich hätten die Paparazzi-Schnappschüsse im Netz kollektive Verzückung ausgelöst. Nun war es aber nicht er, sondern seine Frau Meghan, die den kleinen Archie trug – und dabei nach Ansicht der Internet-Nutzer so ziemlich alles falsch machte (siehe Foto).

„Mom-Shaming“ heißt das Phänomen, mit dem nicht nur Prominente konfrontiert sind: Wildfremde Menschen – meist sind es andere Frauen – kritisieren oder beschämen (werdende) Mütter für ihren Erziehungsstil, ihr Auftreten oder ihre Lebensgestaltung. Im Grunde gibt es nichts, was Mamas nicht falsch machen können, wie ein Blick auf die Social-Media-Profile der Promi-Mütter zeigt: Reese Witherspoon reichte ihrem Sohn selbst gemachte Zimtschnecken zum Frühstück (zu süß!), Model Chrissy Teigen berichtete vom ersten Zahnarztbesuch ihrer dreijährigen Tochter (zu spät!). Popstar Pink, kritikerprobte Zweifach-Mama mit sechs Millionen Instagram-Abonnenten, zog nun die virtuelle Reißleine und sperrte die Kommentar-Funktion unter ihren Fotos. Kaum ein Bild ihrer Kinder war ohne „Mom-Shaming“ ausgekommen.

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Jungmamas zunehmend verunsichert

Die Umfrage eines deutschen Breiherstellers belegt, dass längst nicht nur Star-Mütter betroffen sind: 77 Prozent der befragten Mütter gaben an, dass sie schon einmal für den Umgang mit ihrem Kind kritisiert wurden, 72 Prozent von ihnen fühlten sich deshalb als schlechte Mutter. Die in Wien tätige Elternberaterin Linda Syllaba nimmt eine steigende Verunsicherung bei Jungmamas wahr, auch ausgelöst durch die sozialen Medien: Statt auf das eigene Bauchgefühl zu hören, vergleichen sich viele mit vermeintlichen Supermüttern im Netz und haben das Gefühl, alles falsch zu machen.

Kritik an Müttern gab es zwar immer, durch die Distanz und Anonymität im Internet fallen aber die Hemmungen. Dahinter steckt ein psychologisches Motiv, sagt Syllaba: „Wer eine Meghan, die wunderschön und reich ist und jetzt auch noch ein gesundes Baby hat, kritisiert, erhebt sich über sie. Nach dem Motto: Sie ist zwar eine Prinzessin, kann aber nicht einmal ihr eigenes Kind halten.“

Dass Prinz Harry für die gleichen Fotos vermutlich als Vater des Jahres gefeiert worden wäre, ist evolutionär bedingt, erläutert Mama-Coach Syllaba. „Der Vater ist nicht dafür zuständig, dass er sein Baby hält, er geht jagen und versorgt die Familie. Dieses Bild sitzt einfach sehr tief.“

Das Image der liebenden, sich für alles und jeden aufopfernden Mutter hat einen religiösen Ursprung und wird seit Jahrtausenden kultiviert. Bis vor wenigen Jahrzehnten war die Mutterrolle klar definiert, die Frau stellte ihre Karriere und sich selbst in den Hintergrund, umsorgte Nachwuchs und Haushalt. Heute können Frauen – zumindest in der Theorie – aus vielen Lebensmodellen wählen. „Es wird noch dauern, bis sich dieses Bewusstsein durchsetzt“, glaubt Syllaba. „Momentan wird Frauen in der Erziehung noch eingebläut: Du bist die Mutter, du musst instinktiv wissen, wie das geht.“

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Wer Opfer von Mom-Shaming wird, sollte sich freundlich, aber bestimmt abgrenzen, rät die Expertin, selbst Mutter zweier Söhne: "Man könnte etwa sagen: 'Interessante Ansicht, aber ich sehe es anders.' Als Mutter oder Vater kennt man das eigene Kind am besten." Und umgekehrt - gibt es Situationen, in denen ein Einmischen in fremde Erziehung gerechtfertigt ist? "Grundsätzlich gilt: Keine Ratschläge, wenn man nicht gefragt wird", so die Beraterin. Bei körperlicher und verbaler Gewalt an Kindern sei aber Zivilcourage gefragt.

Keine Perfektion nötig

Wie unzählige Promi-Mamas plädiert auch Linda Syllaba dafür, das Bild der makellosen Mutter zu verwerfen. Perfektion sei in der Erziehung erstens unerreichbar und zweitens gar nicht nötig. „Kinder brauchen keine perfekten Eltern, sondern echte: Eltern, die Fehler machen, über ihr eigenes Handeln nachdenken und sich entschuldigen können.“

Aus diesem Grund starteten deutsche Unternehmerinnen, Autorinnen und Bloggerinnen eine Online-Kampagne, die Toleranz gegenüber Mamas verbreiten soll. Hashtag: #coolmomsdontjudge – coole Mütter urteilen nicht.