Leben/Gesellschaft

Modernes Sexspielzeug für Frauen: Design statt Schmuddelfaktor

Jahrzehntelang war es ruhig auf dem Markt. Ob man überhaupt noch etwas Neues erfinden könne, wollte der KURIER 1999 von Beate Uhse wissen: „Seit zwanzig Jahren gibt es nur ein wirklich neues Teil – den Vibrator“, antwortete die damals 80-Jährige, „Kunstpenisse gibt es seit Millionen Jahren, aber einer, der vibriert – das war neu.“

1883 hatte der britische Arzt Joseph M. Granville seinen elektromechanischen Vibrator zum Patent angemeldet – ein sperriges Teil, 18 Kilo schwer, betrieben mit einer Nassbatterie. Mit der Zeit wurden die lustbereitenden Geräte handlicher, moderner, im Grunde aber waren sie alle gleich aufgebaut: ein elektrischer Motor, der Schwingungen erzeugt und auf die Klitoris gelegt wird.

Dann, 2014, Beate Uhse war seit 13 Jahren tot, kam der „Womanizer“ und löste in der Welt des Sexspielzeugs abermals eine kleine Revolution aus. Wieder war es ein Mann, der an der Lusterfüllung der Frau getüftelt hatte: Michael Lenke aus Niederbayern, Mitte sechzig, verheiratet, hantierte in seinem Bastlerkeller mit einer Aquariumpumpe und ließ seine Frau so lange testen, bis sein Produkt den gewünschten Erfolg erzielte. Der Womanizer funktioniert fast berührungslos, die Klitoris wird über einen Silikonaufsatz sanft angesaugt und mit Luftwellen stimuliert. 98 Prozent der Benutzerinnen würden innerhalb von fünf Minuten zum Höhepunkt kommen, heißt es auf www.womanizer.com, auch solche, die noch nie einen Orgasmus hatten. Bis dato hat sich das Produkt 2,5 Millionen Mal verkauft, die Rezensionen lesen sich begeistert bis ekstatisch.

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Der Zeitgeist war auf Lenkes Seite. „Fifty Shades of Grey“ hatte den Umgang mit Erotikzubehör gelockert, die Frauenbewegung war am Erstarken und die junge Deutsche Lea-Sophie Cramer mischte mit ihrem Online-Versandhandel Amorelie die Branche auf. Nichts daran wirkt schmuddelig, die Pakete werden diskret ohne Logo versandt, die Produkte – darunter auch einige Varianten des Womanizer – könnten vom Design her auch als puristisches Küchenzubehör durchgehen. Statt „Sextoys“ spricht man von „Toys“: Die zweifache Mutter begriff, dass Sexspielzeug für Frauen nur dann zum Lifestyleprodukt avanciert, wenn man den Sex weglässt.

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Während der stationäre Erotikhandel strauchelt – Beate Uhse meldete Konkurs an, in Deutschland hat sich die Anzahl der Shops halbiert –, erleben schicke Onlineportale wie Amorelie einen Höhenflug. Den Erfolg des Womanizer deuteten viele gar als Akt der Emanzipation: Lange wurde der weibliche Orgasmus vernachlässigt, laut einer Studie der Charité kommt nur ein Viertel der Frauen beim Sex ohne zusätzliche Klitoris-Stimulation zum Höhepunkt. Der Anblick der eigenen Vulva verursacht oft Scham.

Durch den niederschwelligen Zugang im Internet trauen sich Frauen mehr, beobachtet die Sexualtherapeutin Bettina Brückelmayer. „Viele Frauen erleben durch Sextoys ihren ersten Orgasmus. Der Weg dorthin ist bei vielen Frauen komplizierter als beim Mann. Diese Erfahrung gibt Selbstvertrauen, ein Leidensdruck fällt ab.“ Die Ästhetik der neuen Bestseller entspreche den Wünschen der Konsumentinnen: „Frauen wollen meist keine pervertierte Form, sondern ein unauffälliges Toy, das per se nicht als solches erkannt wird“, sagt Brückelmayer.

Dass Frauen ihren Körper und ihre Bedürfnisse erforschen, wertet die Expertin positiv – „eine gute Grundlage für befriedigenden Sex ist, dass Frauen wissen, was ihnen gut tut.“ Dazu hat Michael Lenke mit seinem Womanizer wesentlich beigetragen. Sein Motto steht heute groß auf der Website: „Orgasmus ist ein Menschenrecht.“

Der Onlinehändler Amorelie hat Österreicher, Deutsche und Schweizer zu ihrem Liebesleben befragt:

  • 34 % der Frauen  kommen mit „Toys“ innerhalb von fünf Minuten zum Höhepunkt. Ohne sind es nur 14 %.
  • 66 % der Frauen  besitzen ein „Toy“, bei den Männern 59 %.  Die  Hälfte verwendet es öfter als einmal im Monat.
  • 20 % der Frauen masturbieren mehrmals die Woche. 44 % benutzen dabei einen Vibrator.