Leben/Gesellschaft

Lehrer-Prämien & Gesamtschule

Die gemeinsame Schule wird gerne als Erfolgsrezept dafür genannt, warum die nordischen Länder so erfolgreich sind. Die Gesamtschule ist aber nur eine Zutat: Ganztagsschule, Schulautonomie, Lernen in Gruppen und Gratisessen sind in Schweden ebenfalls selbstverständlich. Im Interview erklärte die Pädagogin Marie Holm dem KURIER den Schulalltag in ihrer Heimat, während sie in Wien eine Veranstaltung von Arbeiterkammer und „Bildung grenzenlos“ besuchte.

KURIER: Sie leiteten bis vor Kurzem die Skogstorpsskolan. Die Schule ist bei Eltern und Schülern sehr beliebt. Warum?

Marie Holm: Die Eltern sind der Meinung, die Erziehung sei hier gut. Die Schüler sind einfach gerne hier, was auch mit dem Schulgebäude zu tun hat. Bevor es errichtet wurde, haben wir mit dem Architekten besprochen, welche Bedürfnisse die Kinder haben. Diese wurden berücksichtigt. So haben wir im Außenbereich vier Einheiten für die Schüler.

Macht nur die Architektur diese Schule so attraktiv?

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Nein. Es hat mit der Rolle zu tun, die wir den Schulen grundsätzlich zuordnen. Wir sind überzeugt, dass eine gute Schule die beste Basis dafür ist, dass junge Menschen später ein gelungenes Leben und einen Job haben, nicht kriminell werden usw. Wir sehen den jungen Menschen als Ganzes, mit all seinen Bedürfnissen – den intellektuellen, emotionalen, sozialen. In der Schule kümmern wir uns um sämtliche Lebensbereiche – nicht nur darum, ob ein Kind den Stoff lernt. Damit das gelingt, vernetzen sich alle, die mit Kindern zu tun haben: Jugendamt, Lehrer, Sozialarbeiter, Polizei und Vereine treffen sich alle zwei Wochen.

Wie wirkt sich dieses Bild vom Kind auf den Unterricht aus?

Es werden nicht nur die klassischen Fächer unterrichtet. Wir vermitteln auch Kompetenzen, die für das Zusammenleben – im privaten Bereich wie auch in der Demokratie – wichtig sind. Beide Säulen sind gleich wichtig und bedingen einander. Denn: Will ein Kind lernen, muss es sich sicher und geborgen fühlen. Es muss ein gutes Verhältnis zu Mitschülern und zum Lehrer haben.

Wie sieht der Tagesablauf aus?

Manche Kinder kommen sehr früh in die Schule – auch die kleinsten. In unserer Schule sind alle Altersstufen, vom Ein- bis Zwanzigjährigen. Die Kinder können erst einmal frühstücken.Danach findet abwechselnd Unterricht und Freizeit statt. Früher war das anders: Vormittags war Schule, die Kinder gingen nach Hause und dann ins Freizeitzentrum. Jetzt sind sie länger in der Schule. Der Vorteil: Man kann vernetzt arbeiten – der menschlicher Körper wird z. B. in Sport und in Biologie behandelt.

Wie ist es möglich, dass in einer Gesamtschule jedes Kind individuell gefördert wird?

Schüler lernen nicht in Klassenverbänden, sondern in über drei Jahrgänge gemischten Gruppen. Wenn ein Schüler in einem Fach gut ist, macht er bei den besseren mit, hat er Schwächen, lernt er mit der „leichteren“ Gruppe. Auch die Gruppengrößen sind unterschiedlich. Wird ein Film gezeigt, betreut ein Lehrer 40 Kinder. So schaffen wir Ressourcen, damit ein Lehrer sich parallel einer 5er- Gruppe widmen kann.

Wie autonom sind Lehrer in ihren Entscheidungen?

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Die Regierung gibt Ziele vor. Die Schule hat völlige Freiheit, wie sie diese erreicht. Wir haben ein Budget und können entscheiden, welchen Lehrer wir brauchen, ob wir Sozialarbeiter, Krankenschwestern oder Psychologen einstellen. Wie viel Geld eine Schule bekommt, hängt von der Sozialstruktur der Schüler ab. Verteilt wird nach einem Schlüssel – für Scheidungskinder, Migranten und Sozialhilfeempfänger gibt es extra Geld.

Erhalten die Lehrer Feedback?

Zwei Mal im Jahr haben wir ein Mitarbeitergespräch. Der Direktor thematisiert, was der Lehrer besser machen muss. Gute Lehrer erhalten finanzielle Zulagen.

Wo werden die Kindergarten­pädagogen ausgebildet?

Sie machen bei uns ein dreijähriges Studium an der Universität. Wir haben aber auch Hilfskräfte im Kindergarten. In der Krippe sind maximal 15 Kinder in einer Gruppe, bei den 3- bis 6-Jährigen höchstens 22 Kinder. Pro Gruppe gibt es drei Betreuer.
Sie bekommen Vorgaben von der Regierung oder der Kommune. Wie sehen die aus?
Ein Ziel hieß: Alle Achtjährigen müssen lesen können. Die Lehrer sagten uns, das sei zu viel Druck auf die Schüler. Wir sagten: Nein – wir machen Druck auf euch. Wir haben die Lehrer unterstützt, das Ziel zu erreichen.

Es kommt auf den Lehrer an?

Ja. Ich zitiere Barack Obama: Ob ein Kind, das das Klassenzimmer betritt, erfolgreich lernt, hängt weder von seiner Hautfarbe noch von seiner Herkunft ab. Es hängt allein vom Lehrer ab.

Der politische Wille ist da: Alle sechs Parlamentsparteien sprachen sich diese Woche im Nationalrat dafür aus, die tägliche Sportstunde einzuführen. Auch Eltern wünschen sich, dass sich die Kinder mehr bewegen. Sie haben aber Zweifel an der Umsetzbarkeit dieses Vorschlags.

Theodor Saverschel, oberster Elternvertreter der höheren Schulen, fordert stattdessen, dass die Schüler tägliche, kürzere Bewegungseinheiten im Klassenzimmer haben. „Eine zusätzliche Stunde im Turnsaal – das geht nur in einer Ganztagsschule, die auch ausreichend Turnsäle hat. Es dauert Jahre, bis diese gebaut sind. Bis dahin bin ich in Pension. Wir müssen jetzt handeln.“

Tennis-As Antonitsch

Unterstützt wird Saverschel von Ex-Tennisprofi Alex Antonitsch. Der hat ein Buch darüber geschrieben, wie man die Lernleistung bei Schülern steigern kann. Tests hätten gezeigt, dass schon nach 10 Minuten koordinativen Aufwärmens das Gehirn wieder in einen lernbereiten Zustand komme. Saverschel ist überzeugt, dass jeder Lehrer mit Schülern solche Übungen machen kann.

Auch Sportlehrer Johannes Bauer, Direktor der AHS Wasagasse Wien, glaubt, dass die tägliche Turnstunde derzeit organisatorisch nicht umseztbar ist. Sein Vorschlag: „Wir sollten einen Fokus auf die Volksschule setzen. Diese Schulen haben meist die Räume, um wöchentlich fünf Sportstunden zu ermöglichen. Das wäre ein richtiges Signal für die Kinder in diesem Alter.“