Antibiotika: Jedes dritte Rezept "nicht korrekt"
Dänen sind glücklich. "Ihr Wohlbefinden ist größer als bei uns", sagt Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung im Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spital. Ihre Lebenserwartung ist mit jener in Österreich vergleichbar – und das, obwohl es einen Unterschied gibt: In Dänemark und auch in Holland werden pro Tag und 1000 Patienten zehn Dosen an Antibiotika verordnet – in Österreich sind es doppelt so viele, nämlich 20. In der Grippe-Saison steige der Antibiotika-Verbrauch zusätzlich an (obwohl diese nicht gegen Virusinfektionen wie die Influenza helfen): "Das ist ein Riesenproblem", sagte Wenisch bei der Fortbildungswoche der Österreichischen Apothekerkammer in Schladming.
Die nicht korrekte Verschreibung von Antibiotika ist einer der Gründe, dass bei bestimmten Erregern "die Resistenzen im Krankenhaus und im niedergelassenen Bereich nach oben gehen", so die Pharmazeutin Ulrike Porsche, Spitalsapothekerin der Salzburger Landeskrankenanstalten. Gelingt es nicht, das Problem in den Griff zu bekommen, steht eine düstere Zukunft bevor: Dann könnte es 2050 in Europa jährlich 390.000 Todesfälle als Folge von resistenten Bakterien geben, so eine Prognose.
"Nicht korrekt"
Jede dritte Verschreibung eines Antibiotikums ist "nicht als korrekt oder passend einzustufen", sagte Porsche – so liege oft gar keine bakterielle Infektion vor, die Substanz ist die falsche oder die Dosis zu niedrig. Laut WHO gilt das weltweit sogar für bis zu 50 Prozent der Verschreibungen, so die Fachärztin für Infektiologie und Tropenmedizin, Brigitte Meyer: "Nicht alle Infektionen rufen typische Symptome hervor, und die Diagnostik ist oft sehr schwierig." Gleichzeitig gebe es aber nach wie vor einen Verschreibungsdruck auf Ärzte ("mir geht es so schlecht").
71,6 Tonnen Antibiotika (reiner Wirkstoff) wurden 2016 in Österreich in der Humanmedizin verbraucht – zwei Drittel davon im niedergelassenen Bereich. 2010 waren es 69,2 Tonnen – der Anstieg geht vor allem auf den Spitalsbereich zurück – ein Grund könnte die Zunahme komplexer Eingriffe sein.
2016 wurden in Österreich 160 Proben von Bakterien gemeldet, die eine wichtige Klasse an Reserve-Antibiotika, die Carbapeneme, unwirksam machen. Die Daten sind aber lückenhaft – eine Meldepflicht fehlt. Viele dieser Infektionen sind importiert: Etwa von Urlaubern in Italien oder Griechenland, die dort ins Spital mussten. "Es gibt diese Erreger aber auch in Österreich", betonte der Infektionsspezialist Rainer Gattringer vom Ordensklinikum Linz und dem Nationalen Referenzzentrum für Antibiotikaresistenz in Linz. Trotz aller Probleme sei Österreich "aber noch immer die Insel der Seligen in Bezug auf die Resistenzen".
Wenisch fordert mehr Bewusstsein: "Antibiotika werden teilweise nach dem Motto ,Nutzt es nichts, schadet es nichts‘ gegeben – oder weil man ganz einfach die Geduld verliert, den Verlauf einer Infektionskrankheit abzuwarten."
„Die Industrie hat sich großteils aus der Infektiologieforschung verabschiedet“, sagte die Salzburger Spitalsapothekerin Ulrike Porsche. „Man verdient nichts mit dieser Forschung.“ Beispiel Deutschland: Wurden dort zwischen 1991 und 2000 noch 22 neue Antibiotika zugelassen, waren es zwischen 2001 und 2010 lediglich acht. Seit 2011 gab es allerdings wieder elf Zulassungen, sieben weitere könnten noch dazu kommen. Meist handelt es sich aber nur um verbesserte alte Substanzen und keine neuen Wirkstoffklassen. Die EU fördert mit einem speziellen Aktionsplan die Entwicklung von Antibiotika gegen multiresistente Bakterien.
„Es wird auch in Österreich bereits viel getan, um die Verwendung von Antibiotika zu optimieren und die Diagnostik zu verbessern“, so Infektionsspezialistin Brigitte Meyer: „Es gibt zahlreiche lokale Initiativen, die aber noch mehr koordiniert werden müssen.“ Porsche: „Eines der Heilmittel ist eine intensivere Kommunikation zwischen Ärzten und Apothekern.“ Positiv ist auch die Entwicklung in der Landwirtschaft, so Meyer: „Zwischen 2011 und 2014 ging die Menge der in der Geflügelhaltung verwendeten Antibiotika um 44 Prozent zurück.“ Infektiologe Gattringer: „Wenn jeder die alkoholische Händedesinfektion im Spital richtig und konsequent machen würde, müssten wir viele andere Hygienemaßnahmen gar nicht durchführen.“
Der KURIER nimmt auf Einladung der Österreichischen Apothekerkammer an der Tagung teil.