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Vibrierende Armbänder warnen Blinde vor Hindernissen in Kopfhöhe

Xenia Zeiler (13) schlüpft in ihre Schuhe, es geht zu einem Foto-Shooting raus aus ihrer Schule, dem BundesBlindenInstitut (BBI) in der Wiener Wittelsbach Straße. Im Foyer trifft sie auf „alte“ Bekannte, Jugendliche aus dem TGM. Die haben ein Stirnband mit Sensoren und zwei Armbänder mit Vibratoren entwickelt (VibraFeed). Sinn und Zweck sind eine Ergänzung zum Blindenstock. Mit letzterem ertasten Menschen, die nichts sehen, Hindernisse die im Weg stehen. Was aber ist mit solchen, die in Brust- oder Kopfhöhe im Weg hängen?

Fledermaus-Prinzip

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Die zuletzt gestellte Frage war Ausgangspunkt für Andrea Trampert, Sueda Altinay, Philipp Höbart und Marcus Berger aus dem TGM (Wexstraße, Brigittenau, Projektbetreuer Werner Kristufek). Und dabei stießen sie – wie schon vor rund 20 Jahren Jugendliche der HTL Mössingerstraße (Klagenfurt) mit ihrem „virtuellen Blindenstock“ (siehe unten) - auf das Fledermaus-Prinzip: Ultraschallwellen ausstoßen und sozusagen das Echo, das Hindernisse zurückwerfen für die Ortung desselben nutzen. Auch Einparkhilfen für Autos funktionieren nach diesem System. Nur piepsen sollte es nicht – denn, so fanden die Jugendlichen, die bei ihrer Entwicklung immer wieder mit Betroffenen aus dem BBI zusammenarbeiteten, heraus: Den Hörsinn brauchen Menschen, die nicht sehen, natürlich sehr stark, um sich zu orientieren. Da noch ein zusätzliches akustisches Signal wäre definitiv eher verwirrend.

Und so kam die Idee auf, auf ein Stoff-Stirnband fünf Sensoren-Paare zu packen – von links über halblinks, Mitte bis zu halbrechts und rechts ist je ein Sensor fürs Aussenden und der daneben liegende fürs Empfangen des Ultraschalls zuständig. Taucht ein Hindernis in Kopfhöhe auf, so beginnen die Motoren mit dem Vibrieren der Armbänder – stärker ist’s bei jenem in dessen Richtung sich das Hindernis befindet.

Praxistest

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Also auf zum Praxistest. Gleich gegenüber der Schule hängen zwei Zigarettenautomaten und ein Postkastl an der Wand. „Das eignet sich nicht so ganz“, erklärt der Erich Schmid, Informatik-, Musik- und Deutschlehrer, „weil wir den Kindern und Jugendlichen im Mobilitäts-Training lernen, möglichst einen halben Meter von der Mauer entfernt zu gehen. Also führt der Weg ein wenig weiter – in Richtung Prater Hauptallee.

An der Kreuzung Wittelsbachstraße/ Rustenschacher Allee packen die Jugendlichen ihr technisches Hilfsmittel aus, Andrea Trampert setzt den Akku ins Elektronik-Kastl ein, gemeinsam mit Philipp Höbart entwirrt sie den Kabelsalat, Sueda Altinay legt Xenia Zeiler das Stirnband und die beiden Armbänder an und verstaut das „schlaue“ Kästchen in der Jackentasche der Schülerin. „Das ist ein bisserl umständlich“, meint diese. „Das wird auch noch einfacher, daran arbeitet eine nächste Maturagruppe“, erwidern die Nicht-mehr-Schüler_innen, denen nur noch die abschließende mündliche Matura bevorsteht. Die Verbindung zwischen Sensoren und Motoren könnte vielleicht über Funk oder Bluetooth laufen, so das Trio, was die Kabel ersparen würde.

Kitzelig

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Beim ersten Funktionstest mit einer vorgehaltenen Hand vor den Kopf beginnt Xenia Zeiler zu lächeln was sich zu einem herzhaften Lachen auswächst: „Das kitzelt ja!“, liefert sie die Erklärung für die Umstehenden. Weiter geht’s in Richtung Rotundenallee. Dort ragen zwei Schranken quer über samt scharfkantigem, viereckigem Verkehrsschild. Die 13-jährige Schülerin kommt näher. Mit dem Blindenstock kann sie weder das Verkehrszeichen noch den Balken erfassen, doch „die Bändern fangen an zu vibrieren. Das ist jetzt schon eine Hilfe“, bewertet sie das Hilfsmittel positiv. Was die Maturant_innen bestärkt. Ausgangspunkt für das Diplomprojekt war ja, „dass wir im letzten Schuljahr was Sinnvolles machen wollten, um Menschen zu helfen“.

20 Jahre davor

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Wie schon kurz oben erwähnt: Vor rund 20 Jahren hatten Jugendliche einer anderen HTL, der in der Klagenfurter Mössinger Straße, dieselbe Grundidee. Ihr „virtueller Blindenstock“, wie sie die Erfindung nannten, war ein kleines Kästchen, das in etwa in Brusthöhe an ein Kleidungsstück angeklipst wurde und ebenfalls auf dem Fledermaus-Prinzip beruhte. Paul Pak und Peter Weilenmann gewannen 1998 übrigens mit ihrer Erfindung den 1. Preis beim Jugend-Innovativ-Finale (siehe Zeitungs-Faksimile des Schul-KURIER) und zwei Reisepreise, unter anderem zum europäischen Bewerb wo sie damals in Porto auch einen ersten Platz holten. Auch sie arbeiteten in ihrem Projekt mit Blinden eng zusammen.

Damals blieb die Erfindung „nur“ ein Diplomprojekt. Die jetzigen Stirn-, Armbänder-Version mit Richtungsortung wird nicht nur von einer kommenden Maturagruppe weiter entwickelt, es gibt auch schon Kontakt zu einer einschlägigen Firma (TSB – Technik für Sehbehinderte und Blinde), die Interesse an der Entwicklung zeigen, um sie eventuell zu produzieren.

Biomedizin und Gesundheitstechnik

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"VibraFeed" enstand ebenso in der Höheren Lehranstalt für Biomedizin und Gesundheitstechnik, einer der sieben berufsbildenden höheren Schulen unter dem gemeinsamen Dach des TGM (ursprünglicher Name Technologisches GewerbeMuseum). Hier entwickelten Jugendliche u.a. im Vorjahr einen Lorm-Handschuh – Lormen ist die Tastsprache von Menschen, die nichts sehen UND nichts hören, andere in diesem Schuljahr eine Jacke, die gehörlose Menschen Musik spüren lässt. Bernhard Wess, Leiter dieser Schule, nennt dem Kinder-KURIER noch zwei weitere spannende Projekte, die in diesem Zeig entstanden sind: Ein Laser-Lastlinien-Messgerät für Orthopädietechnik sowie ein Venen-sichtbarmach-Gerät. Letzteres setzt darauf, unterschiedliche Lichtfrequenzen einzusetzen, damit medizinisches Personal bei verschiedenen Hauttypen Venen besser sehen kann. Ersteres will die Belastung eines Beines messen, bei dem der Unterschenkel durch eine Prothese ersetzt werden muss, um diese so anzupassen, damit die Hüften nicht ungleich belastet werden.

Praxis-Test für Lorm-Handschuh

www.jugendinnovativ.at

Homepage des Bundes-Blinden-Instituts

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