Leben/Gesellschaft

Vor dem Einstieg: Ist mein Kind schon schulreif?

In zwei Monaten müssen sich die neuen Erstklässler bei ihren Schulen anmelden und beim Direktor vorstellen. Manchmal sollen sie dort nur auf einer Linie gehen und etwas über sich erzählen, manchmal basteln und zeichnen sie. So erkennen die Pädagogen, ob das Kind schulreif ist. Manche Direktoren meinen, sie erkennen auf den ersten Blick, dass ein Kind die erste Klasse nicht schaffen wird. Heuer waren das 8600 von insgesamt 94.000 Tafelklasslern. Bis 31. Dezember können noch weitere Kinder in die Vorschulstufe zurückgestellt werden. Die Einschätzung hängt von ihren Fähigkeiten ab und in welchem Bundesland sie leben: In der Steiermark wird nur ein Prozent nach Vorschullehrplan unterrichtet, in Salzburg 20 Prozent (siehe Grafik rechts).

Vom Bildungsministerium wurde ein einheitlicher Kriterienkatalog angekündigt. Die Verordnung liegt vor, alles andere ist noch unklar. Das standardisierte Verfahren, das in Pilotschulen ab dem Schuljahr 2019/20 eingesetzt werden soll, ist noch in der Entwicklungsphase (siehe unten). Das soll dann nicht nur Schuldirektoren als Orientierung dienen, sondern kann auch von Eltern genutzt werden, um ihr Kind einzuschätzen.

Überforderte Kinder

Schulunreife Kinder sind nicht fähig, dem Unterricht zu folgen, beschreibt eine Lehrerin ihre Vorschulklasse: „Zu mir kommen Kinder, die den Stift nicht ordentlich halten oder sich die Schuhe zubinden können. Es geht auch um das Regelverständnis: Wir müssen immer wieder üben, wie Schule geht.“

Doch es gibt es gar nicht genug Spezialangebote: In den 3000 Volksschulen gibt es nur 490 Vorschulklassen. Wahrscheinlicher als eine spezielle Fördergruppe ist daher, dass ein Kind in seiner Klasse bleibt und von der Pädagogin mitbetreut wird. In den Kindergarten zurück kann es nicht mehr, dort gibt es für schulpflichtige Kinder keine Förderung und meist keinen Platz.

Andere Kinder gelten zwar als schulreif, sind aber so überfordert vom System Schule, dass sich ihre Eltern nach dem ersten Jahr für ein freiwilliges Wiederholen entscheiden. Sitzenbleiben mit Fünfern gab es bisher ab der vierten Klasse, seit diesem Schuljahr schon ab der zweiten Klasse.

Der deutsche Bildungsforscher Dirk Zorn warnte im Spiegel vor Gleichmacherei: Er regt an, dass „ein Kind dann in die Schule kommt, wenn es dafür reif ist. Die Politik sollte über flexible Schuleingangsphasen nachdenken.“

Tatsächlich leiden viele Kinder und Eltern unter den strikten Regelungen, besonders bei im Sommer geborenen Buben, so die Erfahrung vieler Pädagogen. Karin L.’s Sohn hat im August Geburtstag: „Ich wusste, es ist zu früh für ihn und hätte ihn gerne länger im Kindergarten gelassen, aber das ging nicht“.

Hingegen sollen manche Herbstkinder schon früher in die Schule kommen. Wer bis 1. März sechs Jahre alt wird, darf als sogenanntes „Dispenskind“ darum ansuchen. Doch Pädagogen raten oft aus Erfahrung davon ab.

Eine Langzeitstudie der Uni Stanford über überdurchschnittlich begabte Kinder bestätigt ihre Einschätzung: „Kinder die schon mit fünf Jahren in die erste Klasse kamen, hatte ein höheres Risiko, früh zu sterben.“ Die Interpretation der Autoren: „Es kann viel schieflaufen, wenn Kinder zu schnell mit ehrgeizigen Ansprüchen konfrontiert sind. Wenn sie die unstrukturierte Zeit zum Spielen verlieren, die für die Entwicklung sehr wichtig ist.“