Faschingsbeginn: Warum Narren nichts zu verlieren haben
Von Barbara Beer
Kinder und Narren sagen die Wahrheit, heißt es. Durch (scheinbare) Arglosigkeit bringen sie ans Licht, was jeder weiß, aber keiner zu benennen wagt. So traut sich in Hans-Christian Andersens Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ keiner, dem Kaiser zu sagen, dass sein kostbares neues Wams aus nichts besteht– schließlich hat der zuständige Schneider erklärt, nur der Kluge sehe den kostbaren Anzug. Vom Kaiser abwärts möchte keiner zugeben, was er nicht sieht. Für die Festellung: „Der Kaiser ist nackt!“ braucht es Kinder oder Narren.
Eulen und Meerkatzen
Die Darstellung der charakterlichen Bandbreite der Narrenfigur reicht von arglos bis hinterfotzig. Ist Till Eulenspiegel – der der Aufforderung, er möge „Eulen und Meerkatzen“ backen, wörtlich nachkommt – ein Schlitzohr? Oder ein Einfaltspinsel wie Don Quichotte, der als Weltverbesserer im realen Glauben an das Gute durch die Lande reitet?
Auch Freiherr von Münchhausen meint seinen Versuch, sich am eigenen Schopf aus dem Schlamassel zu ziehen, durchaus ernst. Und Danny Kaye hat als „Hofnarr“ im gleichnamigen Film durchaus reale Schwierigkeiten, den „Becher mit dem Fächer vom Kelch mit dem Elch“ und „dem Pokal mit dem Portal“ zu unterscheiden.
Nah am Abgrund
Ein passendes Bild zu dieser Zwiespältigkeit bietet so manche Tarotkarte, die den Narren als Jüngling zeigt, der unbeschwert und in den Himmel schauend auf einen Abgrund hinläuft. „Der Narr ist eine ambivalente Figur. Es ist kein Zufall, dass historische Bilder ihn mit gespaltener Kappe zeigen“, sagt Kulturwissenschaftlerin Julia Boog-Kaminski, die über die Tradition des Witzes promoviert hat und derzeit am IFK (Internationales Forschungszentrum Kulturwissenschaften) forscht.
Neben der gespaltenen Kappe gehören Spiegel und Zepter zu den Insignien des Hofnarren, der, stets in Begleitung des Königs, die einzige Person ist, die diesem die Wahrheit sagen kann.
So schreibt François Rabelais schon Mitte des 16. Jahrhunderts im Roman von „Gargantua und Pantagruel“ davon, dass König und Hofnarr „im selben Zeichen geboren“ seien und Letzterem somit alles gestattet sei. Ähnlich beschreibt auch der libanesisch-amerikanische Philosoph Khalil Gibran 1918 in einer Parabelsammlung den Narren: Der Narr sei jener, der in der Freiheit und Sicherheit des Außenseiters alles sagen darf, ohne bestraft zu werden.
Nichts zu verlieren
Die Tradition des Narren ist lang und international: Im muslimischen Kulturraum kennt man Mullah Nasrudin, der in der Sufi-Tradition die hierarchisch Höherstehenden bloßstellte. In Peru ist ,El Loco‘ eine berühmte Narrenfigur. „Insbesondere an den Höfen absolutistischer Herrscher gab es Narren. Die Bedeutung, die ihnen beigemessen wurde, war von diesen Herrschern determiniert. Für manche war die Meinung eines Narren ausschlaggebend für ihre weiteren Handlungen, für manche bloße Unterhaltung“, erklärt Markus Kupferblum, Regisseur, Autor und Clown sowie Experte für Commedia dell’arte und Maskentheater.
Er berichtet von einem Nigerianischen Präsidenten in den 1980er-Jahren, der einmal pro Jahr zu den „Ausgestoßenen“ in die Wälder um Lagos gegangen sein soll, um diese über sein Regieren zu befragen: Er wusste, dass sie immer offen mit ihm reden würden, weil sie nichts zu verlieren hatten.
Kluge Herrscher erkannten Wert eines Narren-Urteils
„Je klüger die Herrscher, desto klüger die an den Hof geladenen Narren“, erläutert Kupferblum die historische Bedeutung des Narren: „Das waren gescheite und meist auch schlagfertige Leute, die aufgrund ihres Narrenstatus Unangenehmes sagen durften, weil sie kein Teil der Gesellschaft, also nicht ,satisfaktionsfähig‘ waren.
Denn die Herrscher hatten ihre Legitimation durch Gott, durften also von niemandem ,Ernstzunehmenden‘ kritisiert oder gar infrage gestellt werden, da das Gotteslästerung gewesen wäre. Doch kluge Herrscher erkannten den Wert einer freien Beurteilung durch einen Narren, der ungestraft und ohne Angst sagen konnte, was er denkt – denn meist war es das, was die Stimmung im Volk wiedergab. Hätte etwa ein Minister diese Wahrheiten gesagt, wäre der wohl geköpft worden.“
Ein gespaltenes Tier
Der Mensch ist ein „gespaltenes Tier“, heißt es in Shakespeares Tragödie von König Lear. „Niemand könnte diese Gewissheit klarer – und zugleich paradoxer – ausdrücken als der Narr“, schreibt Kulturwissenschaftler Thomas Macho in seinem Text „Der Narr und der Tod“: „In der Gestalt des Narren kommt diese Spaltung zur Erscheinung: als Wechselspiel zwischen Repräsentant und Repräsentation.“
Naivität als Maske
Der Narr sagt das, was offiziell nicht ist. Er ist wahlweise Lügenbold oder Naivling. Wobei Arglosigkeit und Naivität vor allem in der Literatur stets nur Maske sind. „Besonders in der Tradition der Picaroromane (Schelmenromane, Anm.) gibt es eine Erzählstimme, die scheinbar naiv ist, aber tatsächlich viel besser als wir über die Welt Bescheid weiß“, erklärt Kulturwissenschaftlerin Boog-Kaminski.
Die literaturhistorischen Beispiele reichen von Cervantes’ Don Quijote über Grimmelshausens Simplicissimus bis zu Gustave Flauberts Schelmenroman „Bouvard und Pécuchet“ und dem „Wörterbuch der Gemeinplätze“, einer umfassende Enzyklopädie der menschlichen Dummheit. „In der Gegenwartsliteratur sind es häufig Autoren mit Migrationshintergrund, die mit ihrer Außenseiterperspektive neues Licht auf eingefahrene Sitten und Riten eines Landes werfen können“, erläutert Boog-Kaminski.
Trump und Baldwin
Und wer sind die Narren von heute? „Wahrscheinlich Stand-up-Comedians. Mit Donald Trump erlebt der Comedy-Sektor einen neuen Boom. Denken wir an Alec Baldwin und seine Trump-Persiflage. Je stärker die repressiveren Strukturen sind, desto wichtiger sind Witze. Sie gehen mit Unterdrückung einher, weil vieles nur verdeckt gesagt werden kann. An dieser Stelle braucht die Gesellschaft wieder Narren als Ventil.“
Die Polit-Narren
Das Wechselspiel von Macht und Narretei hat Tradition, und manch einer hat Interesse am Rollentausch: Komiker Beppe Grillo ist in die Politik gegangen und wer weiß, ob nicht auch Ex-Grünen Mandatar Klaus Werner-Lobo seine Erfahrungen in der Politik für sein Buch „Frei und Gefährlich – die Macht der Narren“ inspiriert haben.
Die These, dass die Polit- Populisten selbst die neuen Narren seien, weil sie erklärtermaßen dem Volk aufs Maul schauen, unterstützt Boog-Kaminski nicht, ganz im Gegenteil: „Populistische Politiker behaupten, dass sie dem Volk die Wahrheit sagen. Tatsächlich verbreiten sie genau das, wogegen sie kämpfen. Allerdings unter dem Deckmantel angeblicher Wahrheitsfindung. Ein Narr würde nie behaupten, Sprachrohr des Volkes zu sein. Seine Weisheit geht darüber hinaus. Er ist ein Prophet.“