Moldawien: Dem Wein auf der Spur
Die kleine Republik Moldau, auch Moldawien genannt, ist kein viel besuchtes Reiseland. Dem Binnenstaat zwischen Rumänien und der Ukraine mangelt es an Bergen (höchste Erhebung: 429 Meter), einem Meereszugang und großen Sehenswürdigkeiten. Trotzdem ist das ärmste Land Europas unbedingt eine Reise wert: für Freunde erstklassiger Weine. Was es hier an Weinkultur zu entdecken gibt, ist überraschend und begeisternd. Auf internationalen Weinmessen und Degustationen (etwa in Bordeaux) kassieren die edlen Tropfen Moldawiens wiederholt Gold- sowie Platin-Medaillen. Vor Ort erkundet man die Geheimnisse dahinter.
Die Weinkellerei Mileștii Mici etwa öffnet ihre Tore derart groß, dass vinophile Gäste samt Reisebus in die Unterwelt einfahren. Vierzig bis achtzig Meter unter der Erde empfängt ein Straßensystem samt Verkehrsschildern und Ampeln mit einer Länge von rund 220 (!) Kilometer. Mileștii Mici ist nicht nur der größte Weinkeller der Welt; auch die hier gelagerte „goldene Sammlung“ mit zwei Millionen Flaschen und tausenddreihundert Eichenfässern der edelsten eigenen sowie internationalen Rebensäfte ist laut Guinness Weltrekord.
Abseits der unterirdischen Straßen geht es zu Fuß weiter: In Nischen und Gewölben schlummern kostbarste Raritäten bei idealen Bedingungen. Prominente aus ganz Europa mieten hier Weinkeller für den Eigenbedarf – so auch Angela Merkel. Kommentierte Degustationen sind möglich – in schaurig-schönen Räumlichkeiten sechzig Meter unter der Erde samt offenem Kamin und Ritter-Dekor.
Moldau blickt stolz auf fünftausend Jahre Weingeschichte zurück. Der einstige Hauptlieferant der UdSSR verabschiedete sich 1991 aus dem zerbrochenen sowjetischen Staatenbund in die Unabhängigkeit – und verlor damit nicht nur den wichtigsten Absatzmarkt, sondern wurde zusätzlich von den Russen mit einem Weinembargo belegt. Irina Bistritchi, Direktorin des National Office of Vine and Wine NOVW: „Zwar mussten viele Winzer zusperren, für die Weinqualität war das Handelsverbot aber ein Segen. Hand in Hand mit der Erschließung neuer Märkte etablierte sich Top-Qualität.“
Erfrischend
Die junge Winzer-Generation besuchte renommierte Weinschulen – oft in Frankreich. Auch die Republik investiert. Daraus resultieren aktuell vierzig Weingüter mit Verkostungsangebot, zwanzig mit angeschlossenem Restaurant, zehn Weinhotels sowie über hundertfünfzig Kilometer Weinrouten. Die Jahresproduktion von zweihundert Millionen Liter (mehr als die Hälfte rot) wird zu neunzig Prozent ins Ausland exportiert, vorwiegend in die EU. Autochthone Trauben wie Fetească Regală oder Fetească Neagră begeistern immer mehr.
Erfrischend anders in dem Land mit starker Neigung zum historisierenden Kitsch präsentiert sich die ATU Winery vor den Toren Chișinăus. Das Paar Vlada und Victor Vutcarău möchte in ihrer „urban winery“ alles anders machen. Das ist im Design offensichtlich: 2019 werkten hier im Rahmen eines Kulturfestivals Künstler aus zehn Ländern und gestalteten das Weingut mit knallbuntem Graffiti und Schablonenkunst krachmodern neu.
Wer nüchtern genug ist, sollte sich auch der Handvoll Sehenswürdigkeiten des 2,6 Millionen-Seelen-Landes zuwenden: Neben älteren und neueren Weinschlösschen gibt es orthodoxe Klöster (Noul-Neamt, Tipova, Rudi, Capriana und Curchi), mittelalterliche Festungen (Tighina und Soroca) und den Manuc Bei Palace aus dem 19. Jahrhundert im französischen Stil.
Die Hauptstadt Chișinău beschäftigt den Gast jedoch nicht lange. Sehenswert sind die Hauptstraße Stefan cel Mare, das Parlament, der Puschkin-Park und die Christi-Geburt-Kathedrale aus dem 19. Jahrhundert. Am attraktivsten präsentiert sich Chișinău während der nationalen Weintage „Moldawine“ (heuer von 7. bis 8. Oktober). Dann verwandelt sich der Park rund um den Triumphbogen im Zentrum in ein riesiges Degustationsareal, aufgemöbelt wird mit Handwerkskunst, Musik und Volkstanz.
Anreise
Mit Austrian Airlines täglich von Wien nach Chişinău. CO2-Kompensation via atmosfair.de: 17 €
Wohnen in Chisinău
– Berd’s M Gallery Hotel Collection 5*-Designhotel, viel moderne Kunst, Spa; 1 N/F ab 230 € (2 P.)
– London Boutique Hotel 4*, restauriertes bessarabisches Herrenhaus, Zimmer im viktorianischen Stil; 1 N ab 49 € (2 P.)
– Courtyard by Marriott Chişinău 4*, gutes Restaurant; 1 N/F ab 176 €/2 P.
Netzwerk
„Rural Tourism" bietet vierzig Privatquartiere
Eco-Resort Butuceni
Entzückendes Feriendorf; alljährliches Freiluft-Opernfestival mit den Wiener Philharmonikern, 1 N/F ab 52 € (2 P.), pensiuneabutuceni.md/en
Pauschalreise
des Reisestudios Ikarus: 7 N/F Hotel 4* in Chişinău mit sechs Abend-/Mittagessen, täglich (Wein-)Ausflüge, Flug – ab 2.060 €; gegen Aufpreis individuelle Tour. ikarus.com, ikarus-dodo.at
Allgemeine Auskunft
wineofmoldova.com, wineday.wineofmoldova.com/en
Opernfestival
Das Dorf Butuceni sechzig Kilometer nordwestlich ist eine wundervolle Überraschung – vor allem für Österreicher. Da gibt es etwa den eindrucksvollen archäologischen Komplex Orheiul Vecchi auf einem schroffen Rücken in einer doppelten Flussschleife mit altsteinzeitlichen Ausgrabungen, Marienkirchlein sowie Höhlenkloster. Das Dörfchen unterhalb besteht aus traditionellen Bauernhäusern, die ausnahmsweise gefühlvoll renoviert – und nicht wie sonst im Land völlig verkitscht – wurden. Im urigen Wirtshaus kann man mit Glück Anatolie Botnaru, „Vater“ des Dorfes treffen. Der Lebensmitteltechnologe sowie Österreich- und Opern-Fan kaufte landesweit historische Substanz auf und errichtet daraus das Eco-Resort Butuceni mit dezentralen Wohneinheiten und einem Spa nach Vorbild österreichischer Wellness-Hotels.
2014 lernte Anatolie in der Chișinău National Opera Friedrich Pfeiffer von den Wiener Philharmonikern kennen. Gemeinsam mit Ioan Holender gründeten die drei das Freiluft-Opernfestival „DescOperă“. Für die alljährlichen, hochkarätigen Aufführungen schuf Botnaru in Butuceni eigens eine Naturarena vor einer Felskulisse. Österreichisch-Moldawischer Kulturaustausch vom Feinsten!