Himmlisch dinieren in London: Ein Gebet vom Genuss
Von Anna-Maria Bauer
Majestätische Gebäude mit Christbäumen, Krippenspiele vor eleganten Buntglasfenstern, durch die warmes Licht fällt: Das Kirchenhaus ist wie kein anderes mit dem Heiligen Abend verbunden. Doch was, wenn in den prunkvollen Gebäuden nicht nur der Hunger der Seele gestillt wird? Wenn der Duft von Weihrauch nicht als einziger durch die Kirchenbänke zieht und statt Hymnen und Predigten Stimmengewirr und Lachen durch das Gewölbe hallt.
In Großbritannien werden jedes Jahr bis zu 25 Kirchen für Gottesdienste geschlossen. Das ist nicht ungewöhnlich. Auf der ganzen Welt erhalten ungenutzte Kirchen einen neuen Zweck. Sie werden zu Kunstgalerien (wie San Pellegrino in Italien), Buchhandlungen (z. B. St. Clement in den Niederlanden) oder zu Wohnhäusern (das riesige Projekt von Linc Thelen Design in Chicago). Hin und wieder finden sie ihre neue Bestimmung als Orte, an denen nicht nur der Geist, sondern auch der Körper genährt wird, und ihr Ambiente erstaunt: Baristakunst neben den filigranen Schnitzereien; hohe Fenster, deren Farben durch die Spirituosen vor ihnen ergänzt werden. Und dann gibt es Cafés in funktionierenden Kirchen, in denen Ehrenamtliche den Gemeinden einen Raum des Komforts und der Erfrischung bieten.
Eine Erkundung für alle, die beim nächsten Städtetrip eine ungewöhnliche Kaffeepause einlegen möchten.
Mit Gin & Tonic am Taufbecken: Mercato Mayfair
Das extravagante Mayfair hat viele feine Orte, aber die St. Mark’s Church ist einer der fantastischsten. Schon die griechischen Säulen heben sich stark von den roten Backsteinhäusern in der North Audley Street ab. Doch nahezu surreal wird es im Inneren; empfangen einen doch nicht nur mediterrane Gerüche und Stimmengewirr, sondern eine geschäftige Food Hall in einer eindrucksvollen Kirchenhalle. Der „Mercato Mayfair“ (dessen Betreiber in Wien den Gleisgarten eröffneten) bietet seit 2019 in den beiden Seitenschiffen italienische Pasta, neapolitanische Pizza, asiatische Dumplings oder deutsches Bier. Neben dem Taufbecken kann man Cocktails bestellen und im ersten Stock leuchten die Glasflaschen der Spirituosen mit dem bunten Kirchenfenster um die Wette.
St. Mark's Church, N Audley St, London W1K 6ZA
Lust auf Cappuccino und Croissant? Auf in die Katakomben! Café in the Crypt
Auf großen touristischen Plätzen sucht man unaufgeregte Kaffeehäuser häufig vergeblich. Doch ausgerechnet am geschäftigen Trafalgar Square mit seinem 19 Meter hohen Tannenbaum, gibt es ein verstecktes Kleinod. Dazu müssen die gewundenen Stiege neben der 1726 errichteten St. Martin in the Fields-Kirche an der östlichen Seite des Platzes hinabgestiegen werden. Statt leiblicher Überreste (die gibt es schon seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr) findet man „The Crypt“, ein Kaffeehaus samt Geschenkeladen und Veranstaltungskalender. Beim Öffnen der Glastür schwappt warme Luft und emsiges Besteckklappern entgegen. Die quadratischen Tische unter dem Backstein-Gewölbe sind zu fast jeder Zeit gut gefüllt. Kulinarisch kann man zwischen herzhaften Suppen, Sandwiches oder stärkender Pie mit Wurzelgemüse und Erdäpfel wählen. Wer vorher Bescheid gegeben hat, kann sich auch eleganten Afternoon Tea mit Gurkensandwich genehmigen, und Mittwochabend schwingt Jazz durch das Untergrundlokal.
St. Martin in the Fields, Trafalgar Sq, London WC2N 4JJ
Kaffeepause in der Kirchenbank: Host Café
Eine Frage wird Karolina Zmudz immer wieder gestellt: „Ein Kaffeehaus in einer funktionierenden Kirche, geht das?“ Die Kaffeehausmanagerin muss dann immer schmunzeln. Und ja, sagt sie stets, es geht. Vor elf Jahren wollte die Moot Community der St. Mary Aldermary in Zentrallondon ihr Gotteshaus für die größere Community öffnen. Und so werden im hinteren Teil der hellen anglikanischen Kirche Scones, Brownie oder Focaccias angeboten, während dahinter die Kaffeemaschine summt. Die Gäste können mit ihren Heißgetränken übrigens nicht nur auf den langen Holztischen, sondern sogar in den Kirchenbänken Platz nehmen.
St Mary Aldermary, 69 Watling St, London EC4M 9BW
Ein Gotteshaus für eine genussfreudige Gemeinschaft der Geschäftsleute: The Wren Coffee
Nur ein paar Gehminuten vom Host Café und 300 Meter von der imposanten St. Paul’s Cathedral entfernt, befindet sich eine weitere Kirche im Design von Stararchitekt Sir Christopher Wren: die St. Nicholas Cole Abbey. Ein Gotteshaus mit schmerzhafter Geschichte. Zunächst wurde sie im Großen Feuer von London 1666 komplett zerstört – anschließend jedoch von Wrens Team wiederaufgebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurde sie durch einen Bombenanschlag schwer demoliert, aber einmal mehr wieder aufgebaut. Als sie dann zu Beginn des neuen Jahrtausends zu verfallen drohte, rettete sie ein Pionierprojekt. Seit zehn Jahren finden Gottesdienste nur mehr Donnerstagmittag und sonntags statt. Wochentags werden Mittagspausen, Studiereinheiten oder geschäftliche Kaffeerunden abgehalten. Im „The Wren Coffee“ findet man entspannt-anregende Atmosphäre, spannende Kirchenfenster, leise Klaviermusik und Barista, die im Akkord den perfekten Flat White brühen.
St. Nicholas Cole Abbey, 114 Queen Victoria St, London EC4V 4BJ