Leben/Gesellschaft

Essay: Unsere Opas können alles - außer Windeln wechseln

Ich hatte keinen Opa. Der zweite starb kurz vor meiner Geburt (weshalb ich übrigens nicht Florian heiße). Mir fehlen daher Geschichten, in denen Schnitzen oder Schach oder Blödeln die Hauptrolle und der Opa die tragende Nebenrolle spielen. Meine Opa-Sozialisierung fußt auf alten Männern, die ich (angeblich) im Park angesprochen habe, auf der TV-Serie „Der Leihopa“ (wunderbarer, wunderbarer Alfred Böhm!) und auf der steirischen Band STS.

„Großvater, du warst mei erster Freind, und des vergiss i nie!“

Den Idealen in diesem Lied hängen opatechnisch zwei bis drei Generationen nach. Wie auch immer das Verhältnis zum eigenen Großvater wirklich war – während dieses Liedes war es gut. Das war tröstlich für mich Opalosen, ich sang und schluchzte mit, später projizierte ich das Lied auf meine verstorbene Omi, manchmal muss man sich das Leben einrichten.

„I möcht’ dir so viel sagn, was i erst jetzt versteh!“

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So musste ich über das Opahafte erst nachdenken, als ich Vater wurde. Im Moment der Geburt tritt ja nicht bloß ein Kind auf den Plan, sondern jeder eine neue Rolle an, Mutter und Vater und Tante und Opa ...

Alle lernen sich und einander neu kennen, nicht immer friktionsfrei, aber interessant. Mein Vater sprang in die neue Position, als ob er darauf gewartet hat. Vielleicht wollte er etwas nachholen, meine Kindheit hat er nach früher Scheidung nur im Zweiwochenrhythmus erlebt. Auch der mutterseitige Opa stand bereit, bei ihm ortete ich die große Freude am Enkelsohn nach zwei eigenen Töchtern. Jedenfalls nahmen alle mit Inbrunst in ihre neuen Rollen ein.

Der fürsorgliche Gorilla

Wenn ein Opa so loslegt, wird er zur besonderen Bezugsperson. Er ist dem (kleinen) Kind oberste Instanz und erster Diener, wie ein Silberrücken, der sich dem Babygorilla unterwirft (Als Vater ist man dann natürlich öfter einmal jemand, der zwischen einen Gorillaboss und seinen Enkel kommt). Für mich war spannend zu beobachten, wie die Opas die Rolle anlegen.

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Sie übernehmen bereitwillig Aufgaben und zwischendurch einmal das Baby. Und sie geben Vollgas, manchmal weit über das Ziel des Nachvollziehbaren hinaus. Mir wird ein Bild nie aus dem Kopf gehen: Auf einer von mir organisierten einwöchigen Opa-Papa-Enkelsohn-Radtour um den Bodensee (Anmerkung: So eine Woche mit zwei Opas ist fantastisch und eine Prüfung), stapfte ich mit dem dreijährigen Valentin im Uferschlamm des Sees herum (der Knabe drei Jahre, das Wetter heiß). Kaum aus dem Wasser stürzte sich das großväterliche Reinigungsduo auf ihn, der Karl-Opa hielt ihn hoch, der Heinz-Opa wischte mit Taschentüchern die zarten Füße ab, bis der Enkel glänzte.

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Diese Akribie ist auch Ausdruck der modernen Oparolle. Es ist schon beachtlich, was aus den beiden Vätern wurde, die auf ihre Art früher beide Machos gewesen sind. Softe Patriarchen, abgeschliffen von den 1970ern und der Emanzipation. Sie wurden zu Großvätern, die sich selbst Emotion erlauben. Die sich selbst erlauben, das (Enkel) Kind zu verehren, wo sie früher vor allem mit Erziehung und Strenge beschäftigt waren.

Moderne Opas sind in der Lage, feminine Rollen einzunehmen. Schon noch mit Grenzen (um das Wickeln des Baby-Valentin hat sich keiner der beiden angestellt), aber eben: in der Lage!

Drei Jahre nach Valentin kam eine Enkelin dazu. Da haben sich die beiden Opas noch einmal weiterentwickelt. Sie sind zu ihr genau so sanft. Genau so lieb. Genau so fürsorglich.

Sie behandeln sie genau so wenig wie eine Prinzessin.

Sie sind moderne Opas.

axel.halbhuber@kurier.at