Leben/Gesellschaft

Die Kirche gönnt dem Zaren seine letzte Ruhe nicht

Wir haben beschlossen, noch einmal bei null anzufangen und die notwendigen Untersuchungen erneut anzustellen." Das sagte Wladimir Solowjow von der Untersuchungskommission Ende September, ehe die Exhumierung von Nikolaus II. und seiner Frau Alexandra begann. "Die Ermittler wollten genetische Tests vornehmen, nachdem kürzlich die Frage nach der Authentizität der Leichen wieder hochkam." So vermeldeten es die Nachrichtenagenturen.

"Die Aktion ist total sinnlos", sagt dagegen Walther Parson im Interview mit dem KURIER. Und der sollte es wissen, war er es doch, der 2008 die DNA-Analyse der Zarenknochen durchgeführt hat, die jetzt in Zweifel gezogen wird. Dazu muss man wissen, dass der Genetiker vom Institut für Gerichtliche Medizin der Universität Innsbruck nicht irgendwer ist. Spätestens seit der Identifikation der Tsunamiopfer ist sein Labor weltweit auf schwierige Fälle abonniert. Knochen von Mozart und Richard III. wurden analysiert, zuletzt die Mordopfer der mexikanischen Drogenkartelle.

Rückblende

"Es steht nunmehr fest, dass alle Zarenkinder gefunden und identifiziert sind." Also sprach Walther Parson 2008 und legte den Fall ad acta. Jetzt reagiert er mit Unverständnis. "Man weiß, dass die russisch-orthodoxe Kirche mit dem Ergebnis der DNA-Analyse ein Problem hat, weil sie belegen, dass es sich bei den sterblichen Überresten um die Zarenfamilie handelt. Und damit ist ihr Tod ein Fakt. Daher zweifeln sie die wissenschaftlichen Ergebnisse an."

Das sei bereits 1994 passiert, als der erste DNA-Bericht vorlag. "Das Zentrallabor in England – jenes Labor, das das DNA-Fingerprinting erfunden hat – machte die Erst-Analyse. Die wurde angezweifelt", erinnert sich Parson. "Eine zweite Analyse in den USA brachte auf Punkt und Komma dasselbe Ergebnis." Beiden Labors könne es egal sein, ob die Zarenfamilie identifiziert wird oder eben nicht. "Dann lässt man die Causa 15 Jahre ruhen, beauftragt schließlich wieder zwei Labors und die beiden bekommen – nachdem sich die Technologie total verändert hat – wieder dasselbe heraus wie die Vorgänger-Forscher. Ja, was will man denn noch mehr untersuchen", fragt der Genetiker.

Eigentlich hatte die Wissenschaft geglaubt, das Kapitel Zarenmord zu Beginn der 1990er-Jahre abschließen zu können. Doch als man 1991 auf die sterblichen Überreste der Zarenfamilie stieß, fehlten die Gebeine des Zarewitsch Alexej und einer seiner Schwestern. Archäologen ließen nicht locker, suchten nach Spuren und gruben verbissen weiter.

Einer der Hinweise führte zum vermutlichen Anführer des Erschießungskommandos, Jakow Jurowski, der sich später der Tat gerühmt hatte. 1934 hielt er eine Rede vor der KPdSU des Bezirkes Swerldlowsk und behauptete, zwei der Kinder seien verbrannt und separat beigesetzt worden. Und in der Tat: "Das Grab der beiden Kinder, das am 29. Juli 2007 in Jekaterinburg im Ural entdeckt wurde, war nur 70 Meter von dem der Eltern und Geschwister entfernt", erzählt Parson.

Er brachte das Kunststück zuwege, dem, was von den beiden lange vermissten Zarenkindern übrig geblieben war, eine wissenschaftlich fundierte Aussage zu entlocken. Leicht war das freilich nicht. "Wenn Knochen einmal brennen, werden sie geleeartig und das DNA-Material leidet extrem." Die Innsbrucker Forscher haben 2008 eine Verwandtschaftsanalyse gemacht – "im Prinzip ist es eine Vaterschaftsanalyse", erklärt Parson. "Die Überreste, die 1993 mittels DNA-Analyse eindeutig Zarin und Zar zugeordnet werden konnten, haben wir bei uns als Vergleichsmaterial erneut analysiert."

Das reicht den Zweiflern in der russisch-orthodoxen Kirche, in der die gesamte Zarenfamilie Romanow als heilig verehrt wird, allerdings nicht. Im Juli forderte sie eine Wiederaufnahme der Ermittlungen. Und bekam im September ihren Willen.

Parson: "Man muss die wissenschaftliche und die politische Komponente dieses Falls klar trennen. Die wissenschaftliche ist felsenfest."

Die Historikerin Verena Moritz vermutet, dass es der russisch-orthodoxen Kirche um Prinzipielles geht: Die Gebeine von Alexej und Maria, die derzeit im Staatsarchiv verwahrt werden, werden nicht als echt anerkannt. "Sind die Überreste nicht eindeutig jene von Alexej und Maria, können sie auch nicht als Reliquien verehrt werden. Und da will die Kirche keine Fehler machen", vermutet Moritz.

Parson dagegen sagt: "Man weiß sicher, dass alle sieben Leichen miteinander verwandt waren. Und, dass die wiederum mit den heutigen Romanows verwandt sind. Wer sonst sollte das also sein?"

Ausblick

Angeblich werden russische Wissenschaftler die Untersuchung durchführen. Parson fragt: "Wie unbefangen gehen sie an die Fragestellung heran? Bekommen sie die richtigen Proben – nämlich jene, die in den Gräbern gefunden wurden? Manchen sie ihre Arbeit richtig? Dann können sie nur zum selben Ergebnis kommen wie das größte DNA-Labor der Welt in England, das größte in den USA und unser Labor in Innsbruck."

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