Leben/Gesellschaft

Diese Frau begrüßt alle neuen Bewohner im Gemeindebau

Sie spricht mit allen Menschen in ihrem Gemeindebau. Auch mit jenen, die ihr ungeniert ins Gesicht sagen, dass sie sich als „Freundin“ der „Tschuschen“ und „Negerweiber“ gefälligst von hier schleichen soll.

Doch keine Angst! Eine wie Adelheid Schwarz pariert den unverblümten Zorn, der hier im Norden von Wien öfters durchbricht. Mit ihrem Hausverstand, ihrer Schlagfertigkeit und viel gutem Willen.

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Glaube an das Gute

Die Pensionistin ist eine von 500.000 Menschen, die in Wien in einem Gemeindebau wohnen. Vor allem aber ist sie eine Wienerin, die unbeirrt an das Gute im Menschen glaubt. Sie antwortet daher jenen, die den ganzen Tag Zeit haben, um ihren Hass auf die Welt zu vermehren, nie von oben herab.

Sie schöpft ihre Kraft aus vielen positiven Gesprächen mit Nachbarinnen, die seit Jahren friedlich miteinander leben. Und da gibt es auch auf ihrer Stiege 19 und all den anderen Stiegen eine ganze Menge.

„Freundlicher Empfang“

Seit bald zehn Jahren engagiert sich Adelheid Schwarz in ihrem Gemeindebau in Strebersdorf. Ehrenamtlich, für eine Aktion der Wohnpartner, die „Willkommen Nachbar“ genannt wird. Wann immer in einer der knapp 300 Wohnungen eine neue Partei einzieht, wie man Mieter im Gemeindebau nennt, stellt sie sich persönlich vor. Heißt herzlich willkommen und übergibt ein nützliches Infopaket samt Willkommenspräsent.

Einmal dankte ihr eine Mieterin spontan: „So ein freundlicher Empfang! Das ist mir noch nie in meinem Leben passiert.“ Es versteht sich von selbst, dass die Beziehung der beiden Frauen vom ersten Tag an gutnachbarschaftlich war.

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Der Mensch zählt, nicht die Herkunft

Für die Willkommensbotschafterin am Stadtrand ist unerheblich, woher jemand kommt: „Für mich zählt nur der Mensch.“ Mit dieser Einstellung ist sie bisher immer gut gefahren. Weil ihr das Schimpfwort „Tschusch“ nicht über die Lippen kommt, erzählt ihr heute eine Nachbarin aus Dalmatien, was in ihrer Heimat zu den Festtagen auf den Teller kommt. Und auch „Negerweiber“ sind ihr fremd, dafür freut sie sich über ein junges Paar aus Nigeria mit drei entzückenden kleinen Kindern, die sie immer anstrahlen. Und die sich auch gerne von ihr etwas sagen lassen.

Früher hat Adelheid Schwarz in der nahe gelegenen Pfarre bei einer ähnlichen Hilfsaktion gerne mitgetan. Die Aktion hieß „Grüß Gott“, und so erinnert ihr nicht gespielter freundlicher Umgang mit den weniger freundlich gestimmten Nachbarn an die Bergpredigt: So sehr kann man die 65-Jährige gar nicht beleidigen, dass sie nicht auch ihre andere Backe hinhält.

Besonderes Gehirntraining

Warum sie sich das antut, wird die gute Seele von Strebersdorf gefragt. Ihre Antwort fällt ausführlich aus: „Weil die Menschen gemeinsam mehr erreichen können als gegeneinander. Weil ich gerne wissen möchte, wer neu in unsere Siedlung einzieht. Und nicht zuletzt, weil die Nachbarschaftsaktion für mich ein gutes Hirntraining ist.“ Es gibt nur wenige Mieter auf den 32 Stiegen, die sie nicht mit ihrem Namen ansprechen kann.

Jahresbilanz

Am Ende des Jahres wird Adelheid Schwarz, die die schönste Zeit ihres Berufslebens als Mitarbeiterin der Bibliothek in der Pädagogischen Akademie verbracht hat, wieder Bilanz ziehen: 23 Mal hat sie heuer neue Mieter begrüßt. Und weil der Mieterbeirat sein Ehrenamt dankend zurück gelegt hat, ist sie, die seit ihrer Kindheit im Bau wohnt, inzwischen auch die inoffizielle Adressatin für alle Beschwerden. Weit abseits der Polit-Sonntagsreden