Leben/Gesellschaft

„Die ganze Familie mitbetreuen“

Morgens, gleich nach dem Aufwachen, wird Julian gewickelt. Dann trägt ihn seine Mutter aus dem ersten Stock ins Erdgeschoß, beim Frühstück greift der Bub zum Teil selber zu. Nur trinken, das schafft er nicht.

Alle Inhalte anzeigen

Er schafft es nicht mehr. Julian ist kein Baby, sondern neun Jahre alt. Bis ins Kindergartenalter war er ein „völlig gesundes Kind. Er konnte schwimmen, Rad und Ski fahren“, erzählt seine Mutter Petra Mette. Dann traten Sprachschwierigkeiten auf – und ab der Volksschule neurologische Schübe. „Von einem Tag auf den anderen konnte er nicht mehr gehen und musste gewickelt werden.“ Später kam Epilepsie dazu, „mit bis zu acht Anfällen pro Tag“. Als diese nachließen, folgten spastische Anfälle. Seither sitzt Julian im Rollstuhl. „Wir wissen nur, dass die Nerven geschädigt sind. Genaues können auch die Ärzte nicht sagen.“

Familien-Hilfe

Im Einsatz für den Buben bleibt wenig Zeit für ihren Mann und Julians Schwester Sophie, 11. „Es dreht sich alles um Julian.“ Kleine Auszeiten sind der Familie aber wichtig. „Mein Mann und ich versuchen, manchmal nur mit Sophie etwas zu unternehmen oder wir beide als Paar. Aber wer schaut in dieser Zeit auf Julian?“

In solchen Situationen ruft Familie Mette Kerstin Schatzl an. Die Intensiv-Kinderkrankenschwester beschäftigt sich beim Malteser Care Ring in Wien mit sogenanntem „Familienorientierten Case Management“. Malteser-Regionalleiterin Natalie Lottersberger erklärt diese Arbeit so: „Familien mit chronisch kranken, pflegebedürftigen Kindern brauchen viel Unterstützung, die über die reine medizinische Pflege hinausgeht.“ Mitarbeiterinnen wie Kerstin Schatzl begleiten die Familie. Ob es um Heilbehelfe wie Spezialbetten oder Ernährungssonden geht, um finanzielle Belastungen oder Bedürfnisse von Geschwisterkindern. Kerstin Schatzl: „Man ist sehr ins Privatleben der Familie integriert.“ In Wien betreuen die Malteser etwa 40 Kinder pro Monat, in NÖ 23 und in OÖ zwei Kinder.

Die Arbeit mit unheilbar kranken Kindern, die eine kürzere Lebenserwartung haben können, unterscheidet sich von üblicher Hospizarbeit mit Erwachsenen. Bei dieser geht es in der letzten Lebensphase häufig um palliative Pflege und Schmerztherapie. Etwa, wenn wie bei Krebs im Endstadium, Heilung nicht mehr möglich ist.

Seltene Krankheiten

In der Kinderhospiz-Arbeit ist man weniger mit Krebs, aber vielfach mit neurologischen Diagnosen, unheilbaren Stoffwechsel- oder Muskelerkrankungen konfrontiert. Dazu kommen Geburtsschäden, die sich erst später zeigen. Die Unterschiede bei Kindern betont auch Sabine Reisinger vom Verein Kinderhospiz Netz. „Unsere Begleitung ist nicht nach wenigen Wochen vorbei. Hauptthema ist die Entlastung der Familie, unsere Hospizarbeit beginnt schon mit der Diagnosestellung.“

Die Unterstützung durch Kerstin Schatzl schätzt Familie Mette. „Es war so schwierig, jemanden zu finden. Für Kinder gibt es nicht viele Angebote.“ Im vergangenen Jahr habe sich, mit viel Unterstützung, einiges getan. „Julian ist ein Kämpfer, jetzt ist wieder Lebensfreude bei ihm spürbar.“ Den Familien-Retriever ließ Petra Mette zum Therapiehund ausbilden. „Die beiden sind die besten Freunde.“ Und: Seine Vorlieben hat Julian trotz Erkrankung beibehalten. „Er ist noch immer wahnsinnig gerne im Wasser. Er liegt drinnen und genießt es sichtlich.“

Der Welt-Kinderhospiztag am 10. Februar soll das Bewusstsein für die Probleme unheilbar kranker Kinder und ihrer Familien schärfen. Laut Schätzungen sterben ca. 400 Kinder jährlich an lebensverkürzenden Krankheiten. In Österreich gibt es kein stationäres Kinderhospiz. Auch Angebote für zuhause fehlen. Organisationen wie Malteser Care und das Kinderhospiz Netz fordern mehr öffentliche Unterstützung.

Die Betreuung dieser Familien geht weit über die medizinischen Bedürfnisse hinaus“, sagt Sabine Reisinger vom Verein Kinderhospiz Netz. Deshalb setze man im mobilen Kinderhospizteam neben den therapeutischen Diensten (Pflege, Sozialarbeit) ebenso auf ehrenamtliche Mitarbeiter. „Unser Angebot ist, zu helfen, zu entlasten und zur Seite zu stehen.“
Diese Hilfe ist individuell. „Es geht von Botengängen über Hilfe bei Hausübungen oder einfach nur beim kranken Kind sein, um der Familie Freizeit zu ermöglichen.“ Derzeit betreuen beim Kinderhospiz-Netz 30 ehrenamtliche Mitarbeiter zwischen 25 und 30 Familien pro Jahr. Reisinger legt Wert auf eine intensive Ausbildung. „Wir schulen die Interessierten intensiv, damit sie gut auf die Situationen in der Familie vorbereitet sind.“
Die Idee stammt aus Deutschland, wo Kinderhospize schon seit zwanzig Jahren etabliert sind. „Dort ist man schon weiter als bei uns“, betont Reisinger, die selbst eine Kinderhospiz-Ausbildung dort absolviert hat.
Die Finanzierung ist für die Vereine ein leidiges Thema. Sie finanzieren sich ausschließlich über Spenden und fordern Anlaufstellen für betroffene Eltern in allen Bundesländern. Reisinger: „Die öffentliche Hand muss sich auch um diese Kinder kümmern.