Axels Terrasseneintopf: Die erste Blüte nach über 100 Jahren
Von Axel Halbhuber
Seit Wochen ist Wien aufgeregt, weil eine Pflanze blüht. Menschen pilgern in den Botanischen Garten der Uni Wien, um den in der Stadt einzigartigen Australischen Grasbaum zu bestaunen. Der blüht erstmals, seit er in Wien ist, und das ist er schon lange.
Wie lange genau, das weiß man nicht, erklärt Frank Schumacher, stellvertretender Leiter des Botanischen Gartens: „Wir durchforsten die Archive, haben aber noch kein Datum gefunden. Wir rechnen mit deutlich über hundert Jahren, vielleicht sind es fast zweihundert.“ Vermutlich kam er mit einer Pflanzensendung oder von einer Expedition.
Nun kommt Aufregung in Wien oft viel zu schnell daher. Obwohl das Spektakel schon lange beklatscht wird, sieht man die Blüten erst seit voriger Woche. Feierte aber schon den raschen Wuchs des langen Blütenstands. Der armdicke Stab entspringt aus der Pflanzenmitte und ragt jetzt über zwei Meter senkrecht in den Himmel, die winzigen Blüten daran erkennen Schaulustige von unten nur als weißen Überzug. Erst jetzt ist der Grasbaum komplett in Blüte, der Höhepunkt also. „Eigentlich ist der Baum ein Gras“, erklärt Schumacher. „Er gehört auch in die große Gruppe der einkeimblättrigen Pflanzen, Vertreter dieser Gruppe bilden nur selten einen Stamm, wie etwa Palmen, die gehören auch dazu.“
Auch in der Heimat blühen Grasbäume erst, wenn sie alt sind. „Manche nach 40 Jahren, manche Arten eben erst nach 100, 200, 250 Jahren.“ In Wien versetzt das Spektakel die Botaniker der Universität in rege Betriebsamkeit. Erst mit der Blüte konnte der „Baum“ bestimmt werden, jetzt prangt auf dem Schild der Name „Xanthorrhoea glauca subsp. glauca“. Es werden allerlei Untersuchungen gemacht, ein Duftstoff-Experte nimmt Geruchsproben, um die Interaktion zwischen Blüte und Bestäubern zu untersuchen. Aus den Samen, die der Blüte folgen könnten (wenn der „Baum“ das denn ohne einen Gesellen schafft), würde man weitere Grasbäume ziehen.
Brandschutz
Die Miniblüten in vier Meter Höhe sehen Besucher kaum, aber die interessantesten Teile hat der Grasbaum ohnehin unten: die austreibenden sprossbürtigen Wurzeln und das verhärtete rötliche Harz am Fuß der Pflanze. Schumacher: „Es wird Akaroidharz genannt. Bei Buschbränden wird das weich und verklebt die Blattbasen (die Stummel abgebrochener Blätter, Anm.). Damit schützt sich der „Baum“.“
Dass das Exemplar in Wien überhaupt tausende strohige alte Blätter hat, liegt an der Absenz von Buschbränden im Botanischen Garten. In freier Wildbahn sieht man den „Stamm“ meist stammkahl und schwarzverkohlt. Die Blüte wird durch die Buschfeuer gefördert, weshalb man in den vergangenen Jahren schon überlegte, den Baum anzuzünden. „Wir waren zu feig“, sagt Schumacher.
Für Hobbygartler ist die wichtigste Frage: Kann ich so etwas auch haben? „Ja“, sagt Schumacher. „Er ist eigentlich pflegearm, steht bei uns im Holztopf mit durchlässigem Substrat, wird ein- bis zweimal am Tag gegossen, und braucht volle Hitze und Sonne.“ Ein Stamm beginnt sich jedoch erst nach 30 Jahren zu bilden. „Bis dahin ist da nur ein Schopf, der wie Gras aussieht.“ Samen seien leicht zu bekommen, alte „Bäume“ aber schwer beschaffbar und sehr teuer. „Gut so“, sagt Schumacher, „die sollen weiter in der Heimat wachsen“.axel.halbhuber