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Unerwartete Erkenntnisse über Nitsch, die Natur und Nietzsche

Der Nitsch war sichtlich in Redelaune. „Der Nitsch“, so heißt Hermann Nitsch für seine Freunde, seine Vertrauten, sogar für seine Frau, auch wenn der Künstler einen Professorentitel trägt und sich manchmal mit der Aura des Meisterlichen umgibt.

Doch der Nitsch ist ein umgänglicher Mensch. Das weiß auch KURIER-Redakteur Thomas Trenkler, der den Künstler am Mittwochabend anlässlich seiner großen Albertina-Schau „Räume aus Farbe“ (bis 11. August) zu einem aufschlussreichen Gespräch vor Leserinnen und Lesern animierte.

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Farbe und Fleisch

Dabei ging es einmal um hoch philosophische Fragen wie den Einfluss von Nietzsche auf Nitsch oder die (Un-) Möglichkeit, Natur präzise zu definieren. Und dann wieder um den Fleischhauer in Hauskirchen, bei dem der Nitsch das Blut für seine Malaktionen bekommt. Oder um den erbosten Tierschützer, der für den Künstler einkaufen ging, als dieser erstmals eine geschlachtete Ziege für eine Aktion brauchte.

Quasi im Vorbeigehen holte Nitsch dabei einen Gründungsmythos des Wiener Aktionismus ein Stück weit vom Podest. Im Juni 1962 hatte er nämlich gemeinsam mit Adolf Frohner und Otto Muehl postuliert, sich drei Tage im Keller des Hauses Perinetgasse 1 einzumauern: Sie wollten „weder essen noch schlafen noch unseren Körper pflegen“ und „die ganze Materie des Kosmos verwandeln“, hieß es im Manifest der Künstler. „Wir war’n aber nicht so blöd“, sagte Nitsch beim KURIER-Gespräch unter Gelächter des Publikums. „Und san’ in der Nacht ins Wirtshaus ’gangen.“ Jedoch seien bei der Aktion „wichtige Sachen“ entstanden, etwa das große „Blutorgelbild“, das am Beginn der Albertina-Ausstellung zu sehen ist.

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Malerei und mehr

Die Schau zeigt Nitsch bewusst nicht als Aktionisten, sondern fokussiert auf die Malerei. Er habe diese Kunstform auch nie verlassen, sondern „sie immer als erste Stufe meiner Kunst angesehen“, bekräftigte der Künstler. Allerdings entwickelte sich Nitschs Werk mit Gerüchen, Musik und der Dimension des körperlichen Erlebens zu einem Kosmos für alle Sinne. Das Sechs-Tage-Spiel, dessen zweite Auflage er für 2021 plant, ist der Gipfel all seiner Überlegungen, „alles, was ich je gemacht habe, entspricht Vorstudien dazu“.

Die Frage aus dem Publikum, ob sich die Aktionen auch realisieren lassen, wenn der Künstler selbst nicht (mehr) dabei ist, bejahte Nitsch empathisch: In Anleitungen und Partituren sei alles genau definiert. „Man kann meine Spiele auch in 2000 Jahren noch aufführen, wenn dieser Planet dann noch existiert.“ Die Rechte an den Werken wolle er noch absichern, ein genaues Verständnis brauchen Mitwirkende jedenfalls: „Ich habe jetzt eine Mannschaft, der traue ich zu, eine Aktion ohne mich aufzuführen.“

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Doch so lange der Nitsch da ist, ist er voll und ganz da – das bewusste Erleben ist schließlich ein Ankerpunkt seines Tuns. So kam der Künstler Nitsch dann auch auf den Philosophen Nietzsche zu sprechen, dessen Denken er sich als junger Mann zugewandt hatte. Die Lehre eines Arthur Schopenhauer, der in der Welt „ein Jammertal“ sah, wollte an einem heißen Sommertag, an dem der junge Nitsch aus seinem Floridsdorfer Fenster auf die Wiesen blickte, einfach nicht mehr stimmen, erzählte er. „Damals hab’ ich begriffen, dass die Welt wunderbar sein kann – und dass man die Welt und das Sein inbrünstig bejahen kann.“