Zeitgenössische Musik: Wer soll sich das alles anhören?
Sven Hartberger, der Chef des auf Neue Musik spezialisierten Klangforum Wien, hat sich mit seinen Aussagen nicht immer nur Freunde gemacht – bei Politikern und Intendanten, die glauben, die Musikgeschichte ende bei Richard Strauss.
Nun, bei der Präsentation des letzten von ihm allein verantworteten Saisonprogrammes, verblüffte er mit einer Prognose: Die Neue Musik neige sich dem Ende zu. So wie sich auch die Barockmusik oder die Klassik einst überlebt hätte.
Ein Manager für Neue Musik, der prophezeit, dass die Neue Musik keine Zukunft mehr habe – das ist etwa so, als würde das Krokodil den Kasperl endgültig in Pension schicken.
Nach einem Schockmoment muss man jedoch fragen: Hat Hartberger recht? Vermutlich.
Seit Jahren hat Neue Musik (was auch immer das heute ist) in den meisten Konzertprogrammen nur Alibifunktion. Wenn von renommierten Orchestern ein zeitgenössisches Stück gespielt wird, dann zumeist nur eingebettet zwischen Werken, die das Publikum keinesfalls verschrecken.
In manchen Häusern kann man das ehrliche Bemühen, das Genre nicht nur durch die Interpretation des ewig gleichen Kanons, sondern auch durch Heutiges voranzutreiben, zwar spüren. In anderen jedoch geht es primär um das goldene Musikzeitalter und goldene Säle.
Gründe für den Untergang
Aber woran liegt es, dass es die Neue Musik selbst nach Ansicht eines ihrer größten Vorkämpfers auszusterben droht?
Zunächst an der Neuen Musik selbst. Sie schafft es nur in Ausnahmefällen, sich aus dem Elfenbeinturm zu bewegen. Eine der wichtigsten Komponenten von Musik generell, die Emotionalität, ist verloren gegangen. Es ist ihr auch der „Feind“ abhanden gekommen, das Establishment. Heute ist sie kein Revoluzzer mehr, sondern selbst geschützte Werkstätte.
Des Weiteren liegt der mutmaßliche Untergang an den ausgereizten kompositorischen Möglichkeiten. Nach Wagner (der im Opernbereich sämtliche Felder selbstherrlich belegt hat) und nach Schönberg (der traditionelle Strukturen genial überwunden hat) waren wirkliche Innovationen kaum noch möglich. Ein neues Feld bot immerhin die Elektronik – eines der größten historischen Verdienste Neuer Musik.
Ebenfalls schuld sind jene Intendanten, die nicht einmal versucht haben, der Neuen Musik den ihr vor einigen Jahren noch gebührenden Raum zu geben.
Das Publikum ist nicht schuld am Untergang, aber dennoch der wichtigste Faktor. Es gelingt nur in Ausnahmefällen, eine breite Masse anzusprechen, die meisten Konzerte sind wie skurrile Familientreffen.
Definitiv verantwortlich für die Probleme ist das Streaming-Zeitalter. Wer hört sich daheim eine Kompilation der Uraufführungen der vergangenen Monate an? Und welche Medikamente braucht er danach?
Ein entscheidender Faktor ist auch, dass sich das sogenannte Kapital nie wirklich für Neue Musik interessiert hat. Im Bereich der Bildenden Kunst ist es für Wirtschaftskapitäne megaschick, Zeitgenossen zu sammeln, Neue Musik jedoch wird gemieden wie vom Teufel das Weihwasser. Was auch an der selbst gewählten Abgrenzung der Künstler liegt. Viel Publikum? Pfui, Kommerz!
Selbstverständlich wird es auch in Zukunft zeitgenössisches E-Musik-Schaffen geben. Aber wie hört sich Neue Musik 4.0 an? Welche Rolle spielen Computer? Wie kann man Klangerlebnisse erweitern? (Laut Hartberger etwa durch Alkohol.) Wie sehen, hören, fühlen sich Konzerte in Zukunft generell an? Darauf gilt es Antworten zu suchen, statt die Neue Musik durch ewig gleiche Da-Capo-Projekte zum Altmodischsten überhaupt zu machen.
An der Staatsoper kommen übrigens bald ein paar Uraufführungen heraus – ein untrügliches Zeichen für die Richtigkeit von Hartbergers These.gert.korentschnig