Kultur

"Wohlstandsprobleme interessieren mich nicht"

Mirjam Pressler hält nichts davon, Kindern heile Welt vorzuspielen. Sie gehört zu den erfolgreichsten Jugendbuchautoren im deutschen Sprachraum – mit Büchern, die Geschichten von versehrten Kindheiten erzählen, wie etwa "Malka Mai", das vom Überlebenskampf eines jüdischen Mädchens berichtet. Pressler, 1940 in Darmstadt geboren, lebte nach dem Sprachstudium in einem Kibbuz in Israel und ab 1970 in München, wo sie sich als alleinerziehende Mutter dreier Töchter mit einem erfolglosen Jeansladen herumschlug, bevor sie Schriftstellerin wurde. Als eines von Presslers Hauptwerken gilt ihre kritische Werkausgabe der Tagebücher von Anne Frank. Pressler hat sich nicht nur als Autorin, sondern auch als Übersetzerin einen Namen gemacht: Sie übertrug mehr als 300 Titel aus dem Hebräischen, dem Englischen und dem Niederländischen ins Deutsche, darunter Werke von John Steinbeck, Zeruya Shalev und Amos Oz.

Im Frühjahr erhielt Pressler den Preis der Leipziger Buchmesse für die Übersetzung von Oz’ jüngstem Roman "Judas". Anlässlich ihres 75. Geburtstages am 18 Juni wurde ihre Lessing-Interpretation "Nathan und seine Kinder" (Beltz & Gelberg) neuaufgelegt.

KURIER: Sie haben Ihr halbes Leben Bücher über beschädigte Kindheiten geschrieben ...

Mirjam Pressler: Die jungen Leute sollen kapieren, dass es auch andere Lebensformen gibt. Meine Kinder haben auch immer Bücher gelesen, die als "schwierig" galten.

Wie beurteilen Sie denn die massive Fantasy-Welle in der heutigen Jugendliteratur?

Ich halte das für falsch. Wir leben ja nicht in einer anderen Welt! Es ist absurd, die Kinder davor schützen zu wollen! Sie sollen sich Gedanken machen!

Meinen Sie, dass Zeitgeschichte einfach nicht mehr Mode ist?

Die Auseinandersetzung mit Zeitgeschichte ist nicht mehr Mode. Es geht nur mehr um Zeitvertreib. Um sich dann zu wundern, dass die Zeit vorbei ist.

Sie haben das Tagebuch der Anne Frank neu übersetzt. Interessiert das junge Leser noch?

Ja, das tut es. Aber man muss den Jungen etwas anbieten und sie nicht sich selbst überlassen.

Man darf Sie, wie Sie es einmal nannten, mit "beschädigten Kindheiten" konfrontieren ...

Ja. Die heile Welt interessiert mich nicht. Und die Wohlstandsprobleme interessieren mich auch nicht.

Auch Sie selbst hatten, als Sie zu schreiben begannen, ernsthafte Probleme.

Ja, ich verlor meinen Jeansladen, war alleinerziehende Mutter dreier Kinder und hatte Existenzängste. Ich wollte auf keinen Fall mehr einen eigenen Laden. Da begann ich zu schreiben.

Originelle Idee, Bücher schreiben gegen Existenzängste.

Ja, das zeigt meine Naivität. Hätte ich gewusst, worauf ich mich einlasse, hätte ich das nicht gemacht.

Aber es ist gut gegangen, schon Ihr erstes Buch "Bitterschokolade" wurde ausgezeichnet.

Dafür bin ich dankbar.

Themenwechsel: Sie wurden nun für Ihre Übersetzung von Amos Oz’ Roman "Judas" ausgezeichnet.

Ich hab’ mich sehr darüber gefreut! Übersetzer gehen leicht unter. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Aufgabe. Man kann aus einem guten Buch ein schlechtes machen.