Kultur

„Wir leben nicht auf einer medialen Insel“

Als Geschäftsführerin der Degeto verantwortet Christine Strobl ein Jahres-Budget von 400 Millionen Euro. Damit ist sie prägend für das, was in der ARD an Serien und Filmen auf den Schirm kommt und dafür produziert wird – auch in Österreich.

KURIER: „Blind ermittelt“, „Dennstein & Schwarz“ oder steirische Landkrimis – bei nicht wenigen Produktionen, die das Prädikat „österreichisch“ tragen, ist die ARD Degeto wesentlich beteiligt. Wie kommt das?

Christine Strobl: Wir sind immer auf der Suche nach überzeugenden fiktionalen Stoffen für unsere Sendeplätze im Ersten Deutschen Fernsehen. Die Zusammenarbeit mit den österreichischen Partnern sowohl beim ORF als auch mit den Produzenten und Kreativen ist von Professionalität und Vertrauen geprägt, so dass wir immer wieder gerne kooperieren. Österreich bietet sich außerdem als Produktionsland an, weil es keine Sprachbarrieren gibt.

Welche Erwartungen knüpfen Sie an die neuen Produktionen?

Es handelt sich um unterschiedliche Genres: „Dennstein & Schwarz“, das am 25. Mai um 20.15 Uhr im Ersten Premiere hatte, ist eine im Rechtsanwaltsmilieu angesiedelte Komödie mit zwei starken Frauenfiguren, die nicht unterschiedlicher sein könnten, verkörpert durch Maria Happel und Martina Ebm. „Dennstein & Schwarz“, in der wunderbaren Steiermark spielend, könnte unsere Reihen auf dem Sendeplatz „Endlich Freitag im Ersten“ um eine neue Farbe bereichern, so jedenfalls unsere Erwartung. „Blind ermittelt – Die toten Mädchen von Wien“, das mit 5,36 Millionen Zuschauern (20,5% MA) erfolgreich im Ersten startete, ist ein besonders atmosphärischer Krimi um einen blinden Ermittler und seinen gewieften Kompagnon, dargestellt von Philipp Hochmair und Andreas Guenther. Hier haben wir für echte Krimifans ein neues Angebot geschaffen, das der Zuschauer offensichtlich sehr mag und wir weiterentwickeln werden.

Ist die teils sehr präsente Regionalität wie bei „Steirerkind“ und Co kein Problem?

Im Gegenteil, der Erfolg von „Steirerkind“ zeigt ja gerade, dass die Zuschauer in ganz Deutschland – auch im Norden – diese Form der regionalen Verortung als authentisch erleben und die Figuren, die von großartigen Schauspielern gespielt werden, sie überzeugen. Insofern ist die Regionalität der Filme nicht problematisch, sondern sehr erwünscht.

Ist an weitere Projekte mit österreichischen Produzenten bzw. dem ORF gedacht?

Wir arbeiten zurzeit mit dem ORF und der Produktionsfirma an der Fortsetzung der „Steirerkrimis“ mit Miriam Stein und Hary Prinz als Ermittlerduo. Auch bei „Blind ermittelt“ denken wir ganz konkret über die Fortsetzung nach.

Alle Inhalte anzeigen

Wie beurteilen Sie in dem Zusammenhang die Förderungssituation in Österreich und deren Konkurrenzfähigkeit?

In erster Linie drehen wir in Österreich, weil wir im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern hier keine Sprachbarriere haben, es tolle kreative Partner gibt und zweifellos wegen der fantastischen Schauplätze. Natürlich hilft die Förderung auch, unterschiedliche Kosten zwischen den Ländern auszugleichen. In anderen europäischen Ländern gibt es für ausländische Auftraggeber und Produzenten zudem zum Beispiel ein Steuererleichterungsmodell („tax rebate“) – so etwas ist durchaus auch interessant.

Die Degeto lässt im Augenblick viele Test-Ballons für TV-Reihen steigen wie z. B. jüngst „Billy Kuckuck“ mit Aglaia Szyszkowitz und Gregor Bloeb. Was sind die Überlegungen?

Wir haben auf dem „Endlich Freitag im Ersten“-Sendeplatz bereits einige erfolgreiche TV-Reihen etabliert, etwa „Die Eifelpraxis“ mit Rebecca Immanuel und „Praxis mit Meerblick“ mit Tanja Wedhorn, weil wir feststellen, dass das Publikum sich darauf freut, wenn es die Figuren, die es lieb gewonnen hat und die ihm ans Herz gewachsen sind, öfter im Programm wiedersieht. Mir geht es ganz persönlich übrigens auch so. Und insofern sind wir weiterhin dabei, Formate mit Reihenpotenzial zu entwickeln. Daneben bleiben aber auch unterhaltsame und besondere Einzelfilme ein wichtiger Bestandteil des Freitagsangebots.

Was muss ein TV-Stoff haben, damit er heute für Sie interessant ist – es gab ja in den vergangenen Jahren eine völlige Neuausrichtung der Degeto?

Wichtig ist mir bei allen Produktionen, die wir verantworten, eine hohe Qualität in Stoff, Besetzung und Umsetzung. Das zeigt sich etwa in einer zeitgemäßen Themenwahl, der Darstellung vielfältiger Familien- und Frauenbilder, sehr guten Dialogen sowie einer hohen Qualität in der Musik- und Bildgestaltung und vielem mehr. Und dann kommt es auf das Genre und den Sendeplatz an. Die ARD Degeto entwickelt ja durchaus unterschiedliche Programme für Das Erste, etwa die „DonnerstagsKrimis“, den bereits erwähnten „Endlich Freitag im Ersten“-Sendeplatz oder für Fernseh-Events wie zuletzt den Zweiteiler „Gladbeck“. Aber auch erfolgreiche Lizenzformate wie „Sherlock“ oder die Filme des Sommer- und Premieren-Kinos im Ersten sind uns ein großes Anliegen. Insofern gibt es ganz konkret unterschiedliche Anforderungen an die jeweiligen Stoffe – Qualität müssen sie aber immer bieten.

Alle Inhalte anzeigen

Neue Wege gegangen ist die Degeto mit und bei der Produktion der hochklassigen Serie „Babylon Berlin“. Sie haben für diese erste Co-Produktion mit Sky wegen der Erstausstrahlung im Pay-TV viel Kritik bekommen – und viele Auszeichnungen wie die ROMY.

Die Realisierung einer solchen aufwendigen Eventserie wie „Babylon Berlin“ mit renommierten Kreativen vor und hinter der Kamera ist nur möglich, wenn man neue Wege geht. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass wir nicht auf einer medialen Insel leben, sondern unsere Zuschauerinnen und Zuschauer „Babylon Berlin“ ganz selbstverständlich mit internationalen Serienhits wie „House of Cards“, „The Crown“, „Breaking Bad“ bei Netflix und Amazon etc. vergleichen. Um hier konkurrenzfähig zu sein, müssen wir unseren Kreativen Budgets auf entsprechendem Niveau ermöglichen; bei nicht steigenden Gebührengeldern muss man hier also bereit sein, neue Partnerschaften einzugehen. Die zahlreichen Preise, die wir für „Babylon Berlin“ schon entgegennehmen durften, sei es beim Deutschen Fernsehpreis oder die ROMY, sowie die Verkäufe in 90 Ländern zeigen mir, dass wir zumindest bei der Qualität auf dem absolut richtigen Weg sind. „Babylon Berlin“ hat international schon heute Maßstäbe gesetzt und wird weitere Projekte dieser Art vor allem im seriellen Bereich befördern. Wenn man dann noch mitbedenkt, dass eine Sendeminute von „Babylon Berlin“ den deutschen Zuschauer ungefähr so viel kostet wie eine „Tatort“- Sendeminute, sehe ich die Kritik gelassen.

Ist „Babylon Berlin“ die Blaupause für weitere Produktionen mit den neuen Anbietern, wenn die Quoten im Free-TV – es wird in der ARD und im ORF zu sehen sein – passen?

Aktuell führen wir Gespräche über Staffel 3 und 4 von „Babylon Berlin“. Auch weitere Serienproduktionen sind angedacht, über die ich zum jetzigen Zeitpunkt aber noch nicht sprechen kann.

In Deutschland kocht wieder die Debatte um Einsparungen bei den Öffentlich-Rechtlichen hoch. Sind Sie deshalb schon in Alarm-Stimmung?

Wir stehen als Öffentlich-Rechtliche im besonderen Fokus der Gebührenzahler und der Politik, denn es ist letztlich das Geld aller, das wir verantworten. Daher erachte ich es für normal und angebracht, dass wir uns immer besonders um Effizienz und Sparsamkeit bemühen müssen und auch neue Wege gehen sollten. Neue Finanzierungsmodelle, wie wir sie bei „Babylon Berlin“ eingegangen sind, sind eine Konsequenz aus diesen Überlegungen. Aber auch die Koproduktionen, die wir mit dem ORF schließen, sind eine gute Möglichkeit, inhaltlich bereichernd und kostenbewusst Filme zu realisieren.

Stichwort: ARD Degeto

Die ARD Degeto erwirbt und produziert Spiel-/TV-Filme und Serien für Das Erste, die Dritten Programme, 3sat, ARTE, ONE  und  ARD-Spartenkanäle. Die Degeto lieferte 2017 etwa 770.00 Minuten Programm bei einem Jahresbudget von 400 Mio. Euro.

Die Juristin Christine Strobl (46) startete 1999 beim SWR. 2011 übernahm sie die Hauptabteilung Film und Familienprogramm. Seit 2012 leitet sie die ARD Degeto, sanierte sie und richtete sie neu aus. Strobl ist die älteste Tochter des CDU-Politikers Wolfgang Schäuble.