Kultur

Wir alle sind eine Parallelgesellschaft

Subversive Kunst zu schaffen, kann manchmal auch bedeuten, uneingeladen auf mehreren Hochzeiten aufzukreuzen. Die Künstlerin Taus Makhacheva tat das gemeinsam mit einem professionellen Hochzeits-Fotografen im russischen Dagestan. Ihre bildnerische Ausbeute liegt nun als Stapel von Abzügen am Eingang der Schau „How To Live Together“ in der Kunsthalle Wien und bietet ein Panoptikum von Hochzeitsbräuchen – die Bilder gleichen einander, und doch unterscheiden sich Kleidung und Habitus der Gezeigten.

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Kann Kunst tatsächlich Gemeinsamkeit stiften und die „Familie des Menschen“ beschwören, wie es die berühmte Fotoschau „The Family of Man“ einst tat? Gegenüber solchen Heilserwartungen ist dieselbe Skepsis angebracht wie angesichts jener Stimmen, die der Kunst jegliche Relevanz absprechen.

Die goldene Mitte

Nicolaus Schafhausen, Direktor der Kunsthalle Wien, hat als Kurator der Schau „How To Live Together“ (bis 15.10.) nun die goldene Mitte getroffen. Die dicht mit aufregenden Werken bestückte Gruppenausstellung setzt sich nicht ganz unbewusst zwischen die Kunst-Großereignisse des heurigen Jahres, in dem die documenta den Sessel der engagierten Polit-Kunst und die Venedig-Biennale jenen der selbstverliebten Träumerei für sich reklamiert.

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In der Kunsthalle geben sich indes ästhetische und inhaltliche Überlegungen die Hand: So hat der algerisch-französiche Künstler Mohamed Bourouissa seine großen Fotos von Szenen aus Pariser Vororten exakt komponiert – etwa mit Bezug auf Eugene Delacroix’ berühmtes Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“. Der Belgier Kasper DeVos zeigt „Charakterköpfe“ nach Art des Barockbildhauers Franz Xaver Messerschmidt – nur dass die ausgezehrten Gestalten hier Kapuzen-Sweater tragen und nach dem Vorbild von Techno-Freaks modelliert sind.
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Generell treffen sich viele Subkulturen und Parallelgesellschaften in der Schau – die litauischen Zirkusartisten, die die Künstlerin Ieva Epnere fotografierte, die Upperclass-Familien aus Tina Barneys großartiger Serie „The Europeans“ oder die Flüchtlinge, die Herlinde Koelbl 2016 dokumentierte. Historischer Referenzpunkt dazu ist die Serie „Menschen des 20. Jahrhunderts“ des Fotografen August Sander, der um 1925 ein Panorama seiner Zeit schaffen wollte.

Verschiebungen Die Dualität von Rand und Mitte der Gesellschaft geht dabei ebenso verloren wie die scheinbare Opposition von Inhalt und Form: Gerade in der Fähigkeit, Bilder ästhetisch aufzuladen und Erzählungen und Beobachtungen aus der Sphäre des Gewöhnlichen in eine Parallelwelt zu verschieben, offenbart sich die Stärke der Kunst.

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Einige der gezeigten Werke treiben diese Verschiebung ins Utopische: So ließ die Bildhauerin Goshka Macuga ihren Partner als lebensecht wirkenden Roboter nachbauen. Der Replikant führt nun in der Schau mit unheimlich-realistischer Mimik und Gestik einen Monolog, der unter anderem von der Schönheit der Spezies Mensch berichtet. An wen sich der Roboter wendet, bleibt aber unklar: Die „Family of Man“ existiert in Macugas Szenario nicht mehr. So lange sie noch die Chance haben, sollten sich Menschen auf diese Kunst einlassen.