Im Verdi-Zyklus ist der Wurm drinnen
Gibt es eigentliche plausible Gründe, die den aktuell laufenden Verdi-Zyklus der Festwochen im Theater an der Wien rechtfertigen? Nach der Premiere von "La Traviata" ist man zu sagen geneigt: Nein, nicht wirklich. "La Traviata" zählt zum Kernrepertoire der Wiener Staatsoper – dass die letzte Premiere dieses Werkes im großen Haus am Ring szenisch enttäuschte, ist eine andere Geschichte. "La Traviata" müsste, wenn in der Musikstadt Wien eine große Premiere ausgerufen wird, auf Topniveau besetzt sein – das ist leider auch nicht der Fall. Das Staatsopernorchester spielt dieses Werk bedeutend besser als andere Wiener Klangkörper – also müsste man im Theater an der Wien einen neuen Zugang und einen attraktiven Dirigenten dafür finden.
Holzhammer
Womit wir beim Kernproblem angelangt wären: Omer Meir Wellber am Pult des RSO Wien, der im vergangenen Jahr schon heftige Kritik für seine "Rigoletto"-Nichtgestaltung einstecken musste, ist kein Maestro ersten Ranges. Wenn man es gut meint, ist er ein Verwalter der Partitur. Weniger wohlmeinend könnte man formulieren: Er hat zu diesem Werk wenig zu sagen, setzt an Differenzierungsmöglichkeiten nur auf die Kategorien laut und leise. Die nötige Präzision (auch in der Koordination des Schoenberg-Chores) ist nicht immer gegeben, es wackelt furchtbar im Graben. Er atmet kaum mit den Sängern und lässt viel, wenn nicht sogar alles von Verdi Angebotene an Farbenpracht vermissen.
Diese "Traviata" klingt hart statt sensibel: ein orchestraler Holzhammer. Die Sänger hätten teilweise gute Möglichkeiten, können diese aber nicht nützen, weil sie viel zu stark forcieren – als träten sie in einem riesigen Haus auf. Auch da wäre der Dirigent gefragt. Gabriele Viviani orgelt den alten Germont, als wäre das keine berührende, sondern eine reine Brüllpartie. Saimir Pirgu, sängerisch der Beste des Abends, ist auf dem Weg vom rein lyrischen Mozart- ins Verdi-Fach, hat auch alle Voraussetzungen dafür, singt aber ebenso zu vordergründig, mit zu vielen Attacken. Irina Lungu, die neue Wiener Violetta, ist eine attraktive Erscheinung, ihre Stimme wird aber in der Höhe schrill, bei ihrer ersten Arie distonierte sie fallweise, dann wurde sie besser und besser.
Man hätte diese Rolle mit ihr in diesem kleinen Theater intensiver erarbeiten und Wert auf Empfindsamkeit, Ausdruck und Phrasierung legen müssen. Optisch sehr gelungen ist das Bühnenbild (Jeremy Herbert), das von der Prosektur ausgeht, ebendort endet und zwischendurch die beschneite Provence zeigt. Die Regie von Deborah Warner, die diese Aufgabe von Luc Bondy übernahm, hat feine Momente, wenn etwa Sohn und Vater aufeinanderprallen. Um das ideal umzusetzen, hätte aber von den Sängern schauspielerisch mehr kommen müssen. Die Sofas und die sich darauf mit Champagner räkelnde Violetta kennt man aus Salzburg. 2013 geht der Verdi-Zyklus zum 200. Geburtstag des Komponisten mit "Il Trovatore" zu Ende. Wohl wieder mit Omer Meir Wellber.
Fazit: Der Dirigent ist das Hauptproblem
Das Werk: Giuseppe Verdis "La Traviata" (Text: Francesco Maria Piave) wurde 1853 in Venedig (Fenice) uraufgeführt.
Der Dirigent: Omer Meir Wellber am Pult des RSO Wien ist eine große Enttäuschung.
Die Sänger: Nicht idealbesetzt. Am besten ist noch Saimir Pirgu als Alfredo.
Die Optik: Schön anzusehen.
KURIER-Wertung: *** von *****