Kultur

Hier parkt Bruno Kreiskys Rover

Südbahnhof. Nostalgiker erinnern sich gerne an die Lettern, die über dem Eingang des Bahnhofs bis zu dessen Abriss 2010 prangten. Die zehn silbernen Buchstaben ließen seit 1962 die Verheißungen des Südens erahnen: Von hier brach man nach Venedig und Triest auf.

Vom Retro-Charme des einstigen "Süd-Ost-Bahnhofs" wird nicht mehr viel übrig sein, wenn demnächst der neue Bahnhof fertig ist. Die Nostalgiker seien aber beruhigt– zumindest den markanten Schriftzug gibt es noch. Die "Südbahnhof"-Buchstaben sind Teil einer Gruppe von Objekten, die das Wien Museum vor der Demolierung des Bahnhofs für seine Sammlungen erworben hat. Als alltagsnahes, identitätsstiftendes Zeugnis der Design- und Verkehrsgeschichte Wiens.

Vier Jahre sorgte der Südbahnhof-Schriftzug an der Fassade des Wien Museums am Karlsplatz für Schmunzeln. Jetzt wurde er abmontiert und nach Himberg gebracht – in ein neues Depot, wo die vom Wien Museum verwaltete Sammlung der Stadt Wien nun ihren Platz gefunden hat. Was keine einfache Angelegenheit war.

Impressionen aus dem Depot

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Ballspenden

Es geht dabei um mehr als eine Million Objekte. Darunter sieben Kutschen, viereinhalbtausend Ballspenden, Kleider und Hüte von Fred Adlmüller, Bruno Kreiskys Dienstwagen, 30.000 Münzen, ein Fußboden aus einer Beethoven-Wohnung und sämtliche Koloniakübel-Modelle der Nachkriegszeit. Darüber hinaus eine wirklich hochkarätige internationale Kunstsammlung mit allein 400 Klimt-Zeichnungen. Diese Kostbarkeiten wurden bis jetzt wenig praktisch in acht verschiedenen Depots quer über Wien verteilt aufbewahrt, der größte Teil im sogenannten Zentraldepot im 15. Bezirk. In einem Gebäude aus der Zwischenkriegszeit, dessen Bausubstanz in so schlechtem Zustand war, dass die Sammlung bald gefährdet gewesen wäre.

In der Marktgemeinde Himberg, unweit der südlichen Stadtgrenze, hat der Museumsschatz nun ein neues Zuhause gefunden.

Flachware

Auf 12.000 Quadratmetern und mehreren Stockwerken finden sich nun Skulpturen, Bilder, Möbel, Rüstungen und zig andere Teile, die die Stadthistoriker für aufbewahrenswert erachten. Ein beträchtlicher Teil davon ist, wie Kuratoren und andere Museums-Insider es nennen, "Flachware", und zwar "erste Garnitur": Darunter Gemälde von Schiele, Alt oder Waldmüller; Pläne von Otto Wagner oder aus der Zeit der Erbauung des Wiener Stephansdomes, nach denen Dombaumeister und Steinmetze arbeiteten – sie wurden 2011 in der Ausstellung "Der Dombau von St. Stephan" gezeigt.

Apropos: Weiß jeder Kurator auf Anhieb, wo er welches Objekt findet? Es gehört zum Job, sich die Sammlung anzueignen, quasi im Schlaf zu wissen, wo man was findet, sagt die Kunsthistorikerin Gudrun Ratzinger. Als Leiterin des Umzugsprojekts weiß sie, wovon sie spricht: Allein die Sammlung der Laterna Magicas, jener Projektionsgeräte, mit denen wohlhabende Bürger im 19. Jahrhundert imaginäre Reisen im Wohnzimmer unternahmen, umfasst mehrere Hundert Stück.

Einige Sammlerstücke müssen, bevor sie ihr neues Zuhause finden, eine besondere Hürde nehmen: Das Stickstoffzelt. Dort warten Textilien und Holz-Objekte vier Wochen lang in Quarantäne, damit Kleidermotten und Nagekäfer nicht zu bleibenden Mitbewohnern werden.

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Ein Problem, das die Galerie der bedeutenden Köpfe, die ein halbes Stockwerk ausfüllt, nicht hat. Historische Persönlichkeiten von Berta von Suttner bis Johann Strauß stehen als Gips- oder Terracotta-Büsten, als Stein-, Marmor- oder Bronzefiguren in Reih und Glied. Neben Hofmannsthal ist Beethoven zu finden, daneben Christus. Als würden sie sich miteinander unterhalten. Nur Hitler blickt starr geradeaus. Seine Nachbarn kann man sich nicht aussuchen. 300 Totenmasken sind in Laden aufbewahrt, die Ordnung ist alphabetisch. Engelbert Dollfuß und Anton Bruckner liegen in einer Lade. Gustav Mahler gleich neben Hans Makart. Extrem gruselig wirken die Handabdrücke, die kommentarlos, nur mit einem Namensschild versehen, in den riesigen Schubladen ruhen.

Ein Stockwerk weiter, zu erreichen mit einem Aufzug, in den ein ganzer Lastwagen hineinpasst, finden sich alte Stadtbahn-Säulen, Thonet-möbel, aber auch einfache Dienstbotenbetten aus dem 19. Jahrhundert. Sie erzählen "Geschichte von unten."

Küchenkredenz

Man sammelt hier Objekte, die Einblicke in das Alltagsleben geben. Und so findet sich der Schreibtisch des ehemaligen Wiener Bürgermeisters Karl Lueger in der Nähe der Küchenkredenz einer Unbekannten. Das hat eine eigene Poesie: Auch jene, die im Leben nichts miteinander zu tun hatten, kommen nun zusammen. Denn hier geht es nicht um den Status. Einzige Bedingung für die Aufnahme in dieser Sammlung ist, etwas zu erzählen zu haben. Nicht einmal Bruno Kreiskys Rover kann hier mit dem Promi-Bonus Punkte sammeln: Der Dienstwagen des legendären Politikers steht deshalb hier, weil er ein Symbol dafür ist, wie Sozialist Kreisky mittels Limousine Signale an die bürgerliche Mitte sandte.

Die Südbahnhof-Lettern, sie werden ihren Platz im neuen Depot wohl in der Nähe des Stadtkino-Schriftzuges finden. Auch er ist ein Symbol für eine Ära, die erst kürzlich zu Ende gegangen ist. Nein, für Melancholiker ist das hier wahrlich kein Ort.