Kultur

Die Gesichter der Armut

Diese Geschichte hat mehrere gute Anfänge.

Etwa diesen: Eine Wiener Fotografin arbeitet in England für den sowjetischen Geheimdienst. Aus Angst, aufzufliegen, vernichtet sie 1951 ihr Werk. Ihr Bruder rettet die Negative und übergibt sie später einem Museum in Schottland. Jetzt sind sie erstmals in Wien zu sehen.

Es könnte auch so beginnen: „Edith Tudor-Hart gilt in England als renommierte Dokumentarfotografin. Doch ich dachte mir immer, dass da etwas Nicht-Englisches an ihrer Fotografie ist“, sagt Duncan Forbes, britischer Fotohistoriker. „Ich machte mich auf die Suche und fand eine komplexe Story.“

Dritter Beginn dieser wahren Geschichte:

Sie zeigte die Slums der Stadt. Kinder in Obststeigen statt in Kinderbetten. Auch das war Wien. „Sie erkannte Fotografie als Waffe. Sie wusste, ein Bild ist mehr wert als tausend Worte. Meine gute Schwester.“

Bilder der Ausstellung im Wien Museum

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Die Rede ist von Edith Tudor-Hart (1908–1973), aus Wien gebürtige Heldin der Arbeiterfotografie und „gute Schwester“ des österreichisch-britischen Kameramannes Wolfgang „Wolf“ Suschitzky. Sie gehörte zu jener Riege politisch engagierter Fotografinnen, die ab den 1920er-Jahren mit sozialkritischer Fotografie die politischen Entwicklungen verfolgten. Sowohl in Österreich, als auch im englischen Exil, wo sie zu einer der bedeutendsten Vertreterinnen der Arbeiterfotografie wurde.

Die Arbeiten der Fotojournalistin sind jetzt erstmals in einer umfassenden Schau in Österreich zu sehen. Nach Barbara Pflaum und Trude Fleischmann ist Tudor-Hart die dritte österreichische Fotografin, der das Wien Museum eine Personale widmet.

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Zu der ihr „kleiner Bruder“, der 101-jährige Wolf Suschitzky, der seit 78 Jahren in London lebt, gekommen ist, um über seine Schwester zu berichten. Edith Suschitzky, die sich nach ihrer Heirat 1933 Tudor-Hart nannte, war in Wien seit den 20er-Jahren in der kommunistischen Bewegung aktiv. Sie veröffentlichte Reportagen unter anderem in sozialdemokratischen Illustrierten, die nach dem Bürgerkrieg 1934 verboten wurden. Wegen ihrer kommunistischen Aktivitäten wurde sie verhaftet, nach ihrer Heirat mit dem englischen Arzt Tudor-Hart ging sie nach England. In Österreich war man froh, Kommunisten los zu sein. In England kämpfe sie sich durch, war später Alleinerzieherin eines autistischen Sohnes. Besonders berührend wirken in diesem Zusammenhang die ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Fotoreportagen über behinderte Kinder.

INFO: Edith Tudor-Hart: Im Schatten der Diktaturen. In Kooperation mit den National Galleries of Scotland. Kuratoren: Duncan Forbes, Frauke Kreutler. Wien Museum. 4., Karlsplatz. 8 €. Di.–So. u. Feiertag, 10–18 Uhr.

www.wienmuseum.at