Kultur

Wenn Liebe aushöhlt

Mit einer echten Opernrarität startete das Theater an der Wien in die neue Spielzeit. Denn Piotr Iljitsch Tschaikowskys "Charodeyka" ("Die Zauberin") hat es nie wirklich ins Repertoire der Opernhäuser geschafft, wurde auch bei ihrer Uraufführung 1887 ein Misserfolg.

Zu Unrecht, wie nicht nur Regisseur Christof Loy glaubt, der das Werk nun an der Wien in Szene gesetzt hat. Was Loy an der Geschichte rund um die schöne, verwitwete Gastwirtin Nastasja, genannt Kuma, fasziniert? "Die Musik hat mich von Anfang an begeistert. Ich kannte die Oper ja auch nicht, obwohl ich von Tschaikowsky bereits ,Eugen Onegin‘ und ,Pique Dame‘ inszeniert habe. Intendant Roland Geyer wollte ein Werk aus dem russischen Repertoire, das nicht so bekannt ist. Also sind wir auf ,Die Zauberin‘ gestoßen, und ich habe mir ausgehend vom dritten Akt das Stück nach und nach erobert, bis ich es zu lieben gelernt habe."

Loy weiter: "Jeder Akt ist hier speziell. In Wahrheit hört man vier Tschaikowsky-Symphonien an einem Abend und erlebt zudem noch eine Tragödie." Damit meint Loy das Schicksal der Hauptfigur Kuma. Diese wird von einem Fürsten geliebt, liebt ihrerseits aber dessen Sohn, vom auch sie geliebt wird, zieht aber zugleich die Eifersucht der Fürstin auf sich. Am Ende vergiftet die Fürstin Kuma, der Fürst tötet seinen eigenen Sohn und verfällt dem Wahnsinn. Loy: "Tschaikowsky ist in seiner Musik unerbittlich. Normalerweise gibt es in fast jedem Opernfinale auch etwas Tröstliches, hier nicht. Alles gipfelt in einer finalen Apokalypse. Tschaikowsky schildert hier einen Fall, wo Liebe nicht Kraft gibt, sondern aushöhlt."

Dysfunktionale Familie

Was Loy noch an dem Stoff reizt: "Erstens die Schilderung dieser dysfunktionalen Fürsten-Familie. Zweitens natürlich Kuma, die ihrem Wesen nach fast eine Verwandte von Alban Bergs ,Lulu‘ ist. Ich liebe ,Lulu‘ und ich liebe ,Charodeyka‘. Vor allem, da wir mit Asmik Grigorian eine grandiose Kuma haben. Tschaikowsky hätte Asmik Grigorian vergöttert."

Dass "Charodeyka" szenisch kaum gezeigt wird, ist für Loy kein Nachteil. "Ich schätze diese Freiheit, einmal ein Werk zu inszenieren, das nicht eine überbordende Rezeptionsgeschichte aufweist. Wir treten mit der ,Zauberin‘ somit eine echte Reise an."

Zwei Frauen

Eine Art Reise wird auch Loys nächste Arbeit im Theater an der Wien. Im Jänner 2015 ist Loys Deutung von Vincenzo Bellinis "La Stranierea" zu sehen. Das Besondere dabei: Es gibt zwei Premieren und zwei Premieren-Besetzungen. Einmal singt Edita Gruberova die Titelpartie, einmal Marlis Petersen. Wie das geht? Loy: "Beide sind ganz große Persönlichkeiten, die sich jeweils auf ihre Art völlig mit der Rolle identifizieren. Es lohnt sich also, beide zu sehen. Sonst würde man etwas verpassen."