Kultur

Wehe, wenn die Bestie Mensch einmal losgelassen wird ...

Vorsicht! Diese Aufführung ist nichts für schwache Nerven. Und sie hat so gar nichts von einem gemütlich-kultivierten Opernabend. Im Gegenteil. Sie tut weh. Sehr weh sogar. Und sie bleibt nachhaltig im Gedächtnis.

Die Rede ist von Bernd Alois Zimmermanns 1965 uraufgeführter Oper "Die Soldaten" nach dem Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz. Ein Werk, das jedes Theater vor immense Herausforderungen stellt, das oft als "unspielbar" bezeichnet wird. Die Bayerische Staatsoper hat nun wieder einen Versuch gemacht, Zimmermanns in jeder Hinsicht ausufernde Auseinandersetzung mit der "Bestie Mensch" auf die Bühne zu bringen. Und was da zu sehen und zu hören ist, darf getrost als Ereignis bezeichnet werden.

Schändung

Inhaltlich geht es um die (Klein-)Bürgertochter Marie, die dem braven Stolzius versprochen ist, sich aber von Baron Desportes verführen lässt und sukzessive von einem Soldaten zum anderen weitergereicht wird. Geschändet und allen Glücks beraubt, endet Marie als Bettlerin ohne Perspektive. Die Soldaten freilich gehen für alle Zeiten als Zombie-Armee durch das Gestern, Heute und Morgen – wie es Zimmermann (auch Text) gefordert hat. Am Ende steht ein sogenannter "Schreiklang", ein letztes Aufbäumen der Humanität, zu der die Spezies Mensch längst nicht mehr fähig ist. Apokalypse pur.

In München setzt Regisseur Andreas Kriegenburg (toll die für die Simultanszenen perfekt geeignete Kreuzbühne von Harald B. Thor) auf drastische Bilder. Da wird in Käfigen vergewaltigt und gemordet, was das Zeug hält. Da lässt Abu Ghraib ebenso grüßen wie der NS-Terror oder falsche, religiöse Heilsversprechungen.

Aber all diese starken Bilder sind nie Selbstzweck; eine tolle Personenführung garantiert Momente höchst eindringlicher Sensibilität.

Diese lässt auch – trotz aller virtuos aufgebauschten Klangmassen – Münchens Generalmusikdirektor Kirill Petrenko am Pult des fabelhaften Orchesters (inklusive Live-Band, Chor, Geräusche-Macher und Verstärker) walten. Petrenko modelliert dieses große, vielschichtige musikalische Welttheater grandios aus; atemberaubende, nie billige Effekte inklusive.

Und Petrenko hat ein Ensemble zur Verfügung, das noch bis in die kleinsten Partien top besetzt ist. An der Spitze steht natürlich die Sopranistin Barbara Hannigan, die nicht nur mörderische Intervallsprünge mühelos bewältigt, sondern dieser Marie ein Gesicht, ja eine Seele gibt. Hannigans Darstellung geht unter die Haut – mehr Traumwesen als Opfer stakst sie ihrem Untergang entgegen.

Michael Nagy als Stolzius und Daniel Brenna als feister Desportes führen das riesige Personal an, aus dem Okka von der Damerau, Christoph Stephinger, Hanna Schwarz, Heike Grötzinger, und Nicola Beller Carbone herausragen.

Ein paar Buhs für die Regie, insgesamt frenetischer Jubel – was will man mehr?

KURIER-Wertung: