"Vor den Kopf gestoßen": Chefin des ORF-Orchesters kritisiert Cate-Blanchett-Film
Von Georg Leyrer
Die Chefdirigentin des ORF Radio-Symphonieorchester Wien, Marin Alsop, hat den Cate-Blanchett-Film “Tár” scharf kritisiert: Sie fühle sich von dem Film über eine toxische Dirigentin, die in einer Beziehung mit einer Orchestermusikerin lebt, "als Frau, als Dirigentin, als Lesbe vor den Kopf gestoßen", sagte Alsop der Sunday Times.
Die Dirigentin sei zuerst besorgt gewesen, da viele Details des Films nahe an ihrer eigenen Biografie seien, sagte Alsop, die im Film sogar namentlich genannt wird. Nachdem sie den Film gesehen hatte, war sie nicht weiter besorgt, sondern "vor den Kopf gestoßen". "Die Chance zu haben, eine Frau in dieser Position (gemeint ist als Dirgentin, Anm.) zu zeigen und sie dann als Misshandelnde darzustellen, bricht mir das Herz", so Alsop. " “Ich denke, alle Frauen und alle Feministinnen sollten von dieser Art der Darstellung irritiert sein, denn es geht ihr nicht um Dirigentinnen, sondern um weibliche Führungskräfte in unserer Gesellschaft."
Die Klassikbranche gilt als übermäßig männerlastig, gerade die wenigen Dirigentinnen haben es in dieser Männerwelt schwer. Zuletzt ist eine Diskussion darüber entbrannt, warum etwa beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker bisher keine Frau am Pult gestanden ist. "Es gäbe so viele Männer, auf denen dieser Film basieren könnte, aber stattdessen setzt der Film eine Frau in diese Rolle und gibt ihr alle Eigenschaften dieser Männer. Das fühlt sich frauenfeindlich an", sagt Alsop.
Toxische Dirigentin
Blanchett ist für ihre Darstellung der Lydia Tár bereits für einen Oscar im Gespräch. Sie spielt eine begnadete Dirigentin, Komponistin und Lehrerin, Chefdirigentin eines großen deutschen Orchesters in Berlin, die selbstbewusst ihre Macht bei künstlerischen und geschäftlichen Entscheidungen einsetzt. Zudem wird im Film nach und nach klar, dass die Dirigentin, die in einer Beziehung mit einer Geigerin (Nina Hoss) lebt, junge Frauen nicht nur aufgrund ihrer Talente fördert, sondern dafür auch erotische Gegenleistungen erwartet.