Kultur

Von Kaninchen und Wölfen

Stumm liegt es da unterm Schnee, dieses abgelegene finnische Fischerdorf. Seit Tagen schneit es, die Dorfbewohner schlafen lang, weil früh von spät nicht mehr zu unterscheiden ist. Nur Katri Kling geht jeden Morgen vor Tagesanbruch hinaus, um ihren großen namenlosen Hund spazieren zu führen. Man sagt, dass Katri Kling, die mit ihren gelben Wolfsaugen ihrem Hund gleicht, sich für nichts interessiert als für Zahlen. Und der Hund, nun, er hat noch nie mit dem Schwanz gewedelt , weder er noch Katri hat man je von irgendjemandem Freundlichkeiten annehmen sehen. Als Katri anfängt, sich um die Buchhaltung der zurückgezogen lebenden Malerin Anna Aemlin zu kümmern, die Kinderbücher mit geblümten Kaninchen illustriert, argwöhnt man im Dorf, sie wolle sich an das Vermögen der liebenswürdigen Alten heranmachen, doch offen auszusprechen traut sich das niemand. Denn Katri scheint in all ihrer Unnahbarkeit entwaffnend ehrlich.Immer enger spinnen Katri und Anna ihre Netze von Abhängigkeiten umeinander, immer boshafter werden die Absichten und immer unklarer wird: Wer ist hier der Wolf und wer ist das Kaninchen?

Die ehrliche Betrügerin" heißt der subtile Psychothriller der Norwegerin Tove Jansson (1914–2001), bei uns vor allem durch ihre "Mumins" bekannt. Die Geschichten von den filigranen Zauberwesen erzählen viel von dem, was man als finnische Versponnenheit kennt. So auch die vorliegende Gruselgeschichte, in der die geblümten Kaninchen mindestens so unheimlich sind wie der riesige Hund und seine merkwürdige Besitzerin.

Jansson hat viel von sich und ihrer Umgebung in ihr Werk verpackt. Mit ihrer Lebensgefährtin verbrachte sie die Sommer auf der Felseninsel Klovharun, wo sie in winzigen Ateliers malte und schrieb. Kinderbücher und Romane, die einander stellenweise ähneln. Denn auch Mumins haben abgründige Seiten.