Volkstheater-Premiere: Proseminar mit Musikbegleitung
Von Guido Tartarotti
Sie rasen in 105 Minuten durch ein ganzes Jahrhundert, singen, spielen, reißen eine Mauer ein (symbolisch für die Demokratie), verhandeln Verfassungsfragen und versuchen sich an Begriffsklärungen: Was ist Liberalismus? Kapitalismus? Sozialismus? Kommunismus?
Die neue „Polit-Show“ von Christine Eder (Regie und Text) und ihrer künstlerischen Partnerin Eva Jantschitsch alias Gustav (Musik) im Volkstheater ist mitreißend – und gleichzeitig auch ziemlich anstrengend. Zum Beispiel der ständige Frontalunterricht zum Thema Verfassung und Wirtschaft – so was muss man, wie man in Wien sagt, wollen.
Im Mittelpunkt steht Hans Kelsen (großartig gespielt von Christoph Rothenbuchner), der (Mit-)Autor der österreichischen Verfassung. Erzählt wird sein Erfolg, seine Flucht vor den Nazis, sein Streit mit Kollegen aus der Rechtstheorie.
Die Inszenierung erzählt aber auch von der chilenischen Revolution und der McCarthy-Ära in den USA. Und immer wieder schlüpfen Darsteller in allegorische Rollen, werden zu Kommunisten, Bankern, Unternehmern, Neoliberalen.
Am Ende ist die Mauer (Bühne: Monika Rovan) eingerissen, man sucht hinter den Trümmern Schutz und greift zu den Waffen – der Schlusspunkt der „Verteidigung der Demokratie“?
Das Ensemble – neben Rothenbuchner noch Thomas Frank, Nils Hohenhövel, Katharina Klar und Birgit Stöger – spielt großartig. Die vielen Versprecher sind wohl dem Höllentempo geschuldet, in dem hier komplizierte Texte ausgespien werden.
Gustav-Konzert
Der Abend ist aber nicht nur ein rechtsphilosophisches Proseminar, sondern er ist auch ein Gustav-Konzert. Mit einem Schlagzeuger (Didi Kern) und zwei Synthesizer-Spielern (Imre Lichtenberger-Bozuki und Elise Mory) spielt sie Songs, die wie eine Mischung aus Kraftwerk und modernem Elektronik-Pop klingen. Sehr laut, sehr suggestiv, sehr gut. Gustav bedient die Elektronik und gibt den singenden Schauspielern neue Stimmlagen – von tiefen Bässen bis zu hohem Quietschen.
Zu ihrer eigenen Musik kommen noch zwei hinreißend interpretierte Cover-Songs: „First We Take Manhattan“ von Leonard Cohen und „Jenseits von Eden“(Nino de Angelo). Einziges Manko dieser großartigen Musik: Man versteht die Texte kaum.
guido Tartarotti