Volkstheater: Mackie Messer ist bauchfrei
Von Guido Tartarotti
Die "Dreigroschenoper", 1928 pünktlich zur aufziehenden Weltwirtschaftskrise uraufgeführt, ist heute längst ein Klassiker. Die Songs von Kurt Weill sind Schlager ("Und der Haifisch, der hat Zähne ..." trällerte meine Oma gern beim Bügeln), das Stück ist inzwischen ein antikapitalistischer Zitate-Friedhof . Das berühmteste fasst zugleich die Handlung in einem Satz zusammen: "Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral".
Dennoch hat die "Dreigroschenoper" nichts von ihrer Schärfe verloren. Die auf eine Vorlage von 1728 (und diese wiederum auf historische Motive) zurückgehende Geschichte um zwei konkurrierende Anführer des organisierten Verbrechens in Soho ist zunächst vor allem ein von Bertold Brecht meisterhaft gebautes Stück, dazu kommen Kurt Weills packende, teilweise zusammengeklaute, zwischen Jazz, Schlager und Atonalität taumelnde Songs.
Roh statt gut
Brecht beschreibt das Wesen des Menschen punktgenau: Anständig sein muss man sich leisten können. Der Mensch wäre ja gerne gut, "anstatt so roh, doch die Verhältnisse, sie sind nicht so". Brechts "episches Theater" will den Zuschauern ja nicht die Illusion einer zweiten Welt auf der Bühne bieten, sondern das Publikum zu Reflexion und Einsicht anregen.
Wobei sich die Frage stellt, welche Belehrung die "Dreigroschenoper" für uns bereit hält. Die Hauptperson Mackie Messer ist als Identifikationsfigur so stark, dass man auch sagen könnte: Pfeifen wir doch auf die Moral und seien wir lustvoll schlecht. Schließlich kommt auch Mackie am Ende statt an den Galgen sogar ins Oberhaus.
Starmania?
Und damit sind wir endlich im Volkstheater, wo die "Dreigroschenoper" am Freitag vom Publikum sehr freundlich aufgenommene Premiere hatte. Hier besteht keine Gefahr, dass der Mackie Messer als Vorbild verstanden wird: Der Gangster-Captain ist in Marcello de Nardos Darstellung ein weitgehend charmefreier, uninteressanter Kleinkrimineller. Mit roter Plastikhose, kessen Hosenträgern, bauchfreiem Disco-Shirt und wasserstoffblonder Punk-Mähne sieht er aus wie ein "Starmania"-Kandidat, der zum Opfer eines ORF-Kostümbildners auf Selbstverwirklichungstrip wurde.
Warum angesichts dieses Straßenbubis diverse jungfräuliche Damen auf ihre gute Erziehung vergessen und aus dem Kleidchen hüpfen sollen, bleibt völlig unklar.
Dabei spielt de Nardo technisch wie immer stark. Wenn er Brutalität zeigen soll, gelingen ihm starke Momente – etwa, als er einem Untergebenen den Daumen abschneidet. 2006 gab in Klaus-Maria Brandauers Berliner Inszenierung Tote-Hosen-Sänger-Campino den Mackie. Und sein rudimentäres Spiel hatte mehr Seele und Reiz. Der Mackie Messer braucht bei aller Kälte auch Charisma und Seele.
Gnadenlos hart
Das ist schade, denn die Inszenierung von Hausherr Michael Schottenberg ist stark: In ihrer gnadenlosen Härte ist sie ungleich packender als Brandauers gemütliche Sozialkritik.
In den wichtigen Nebenrollen (Patrick O. Beck als Peachum, Susa Meyer als seine Frau, Katharina Straßer als Polly, Maria Bill als Jenny) wird manchmal hart am Rande der Outrage agiert, aber es geht sich immer aus.
Erstaunlich hoch ist das musikalische Niveau: Das Schauspielerensemble des Volkstheaters bewältigt Kurt Weills hochgradig schwierige Lieder bravourös. Hervorgehoben sei Patrick Lammer als fantastisch gut interpretierender Moritatensänger und die großartige, vom Publikum zu Recht umjubelte Band unter der Leitung von Imre Lichtenberger-Bozoki.
KURIER-Wertung: **** von *****
Fazit: Verbrecher im Adelsstand
Stück: Der Mörder Macheath ("Mackie Messer") kommt dem korrupten Polizeichef und dem Chef der Bettlermafia in die Quere, indem er ihre Töchter verführt. Verraten und zum Tod verurteilt, wird er zuletzt begnadigt und in den Adelsstand erhoben.
Inszenierung: Michael Schottenberg inszeniert im gut funktionierenden Einheitsbühnenbild von Hans Kudlich atemberaubend hart und erzielt damit hohe Wirkung. Erst gegen Ende bietet er dem Publikum Trost durch Humor an.
Spiel: Warum Marcello de Nardo den Mackie nicht nur brutal und kalt, sondern auch charisma- und geheimnislos anlegen muss, bleibt unklar.
Musik: Ganz stark!
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