Eine Biennale mit Zeigefinger
Von Michael Huber
Ein Schwarm von Seevögeln taucht ins Meer. Die Kamera zeigt brechende Wellen und Wasserstrudel. Es sind umwerfende Naturaufnahmen, die der aus Ghana stammende John Akomfrah in seinem Werk "Vertigo Sea" im Zentralpavillon der Venedig-Biennale auf drei Leinwände projiziert. Doch das Gefühl der Idylle währt nicht lange: Zuerst sind es Killerwale, die eine Robbe von der Eisscholle kippen lassen. Dann folgt eine Szene, in der Menschen von einem Sklavenschiff ins Meer geworfen werden.
Unschuld verloren
Dass Künstler, die nicht Teil des offiziellen Biennale-Programms sind, die Schau als Plattform für Protest nutzen, hat Tradition: Diesmal lässt der Brasilianer Vik Muniz ein überdimensionales Papierboot vor Arsenal und Giardini umhertreiben, auf dem eine Schlagzeile über Lampedusa zu lesen ist. Am Freitag "besetzte" die ukrainische Gruppe "On Vacation" in Uniformen gekleidet den Russland-Pavillon. Doch Aktivisten haben diesmal Mühe, mit den politischen Ideen im "offiziellen" Programm Schritt zu halten.
Den Grundton der Biennale hat Kurator Okwui Enwezor mit seinen Ausstellungen im Arsenale und Zentralpavillon angeschlagen.
Sein Ziel, eine Neubewertung des Verhältnisses zwischen Kunst und dem Zustand der Welt zu ermöglichen, verfolgt Enwezor allerdings mit allzu verbissenem Ernst: Wer den Karl Marx-Dauerlesungen im Zentralpavillon entflieht und in die umliegenden Räume streift, stößt auf museale Werke des Polit-Künstlers Hans Haacke oder auf Walker Evans’ Fotos aus der Zeit der Großen Depression. Doch wenig der gezeigten Kunst eröffnet hier neue Formen der Auseinandersetzung mit der Welt.
Die Ästhetik der NSA
Auf Basis der Enthüllungen Edward Snowdens und Recherchen über den einstigen NSA-Chefdesigner übersetzte Denny die Logos und Bildmetaphern, die in NSA-Programmen Verwendung fanden, in Modelle und Schautafeln. Diese geben Einblick in einen Kosmos, in der die Welt von Science-Fiction und Computerspielen massiv auf reale Vorstellungen der Welt zurückwirkt und Agenten scheinbar nichts dabei finden, ihr eigenes Programm mit der zerstörerischen Robotermacht aus den "Terminator"-Filmen zu identifizieren.
Ebenfalls am Markusplatz, versteckt im weitläufigen Museo Correr, zeigt Jenny Holzer eine Serie von "War Paintings" als Teil des offiziell sanktionierten Biennale-Rahmenprogramms. Die bekannte US-Künstlerin hat für die "Kriegsgemälde" Verhörprotokolle aus Afghanistan und anderes – teils geschwärztes – US-Aktenmaterial schlicht händisch in das Format großer Leinwandbilder übersetzt: Die aktuellen Möglichkeiten von Malerei zeigt dieser Beitrag deutlicher als die acht Bilder des Malerfürsten Georg Baselitz, die Enwezor nicht ganz nachvollziehbar im Arsenale zeigt.
Verstreut
Viele weitere Beiträge können aktuelle Themen mit Dringlichkeit erfüllen: Im belgischen Pavillon etwa beeindrucken fünf Künstler mit ebenso poetischen wie ungemütlichen Statements zur kolonialen Vergangenheit des Landes. Im deutschen Pavillon zeigt Tobias Zielony Fotos afrikanischer Flüchtlinge in Deutschland und präsentiert zugleich Zeitungen aus deren Ursprungsländern, die diese Bilder publizierten.
Das Thema Ökologie wird im Beitrag Aserbaidschans im Palazzo Ca’ Garzoni ausgebreitet – vom Canal Grande weithin zu sehen ist hier der Abguss eines Olivenbaums von Ugo Rondinone.
Die Gewinner
Als beste Künstlerin der Hauptausstellung wurde die Afroamerikanerin Adrian Piper geehrt. Der Spruch "Everything will be taken Away", den die Konzeptkünstlerin seit 2003 immer wieder auf Tafeln, Bilder und auf menschliche Körper schreibt, trifft auch die pessimistische Grundstimmung dieser Biennale ziemlich gut.