Kultur

Venedig: Ein Höhepunkt des Wettbewerbs

Fremdsprachen sind die Stärke der Italiener nicht. Gut Tausend Menschen warteten heute Mittwoch eine knappe Stunde auf die Pressevorführung eines französischen Films, dessen italienische Untertitel ausgefallen waren. Die englischen Untertitel reichten offenbar nicht aus, um die Vorführung zu starten – und animierte ungeduldige Kollegen dazu, sich in lautstarken Pfeifkonzerten zu üben.

Was es für einen immensen Vorteil hat, vieler Sprachen mächtig zu sein, bewies eindrucksvoll der Amerikaner Viggo Mortensen in dem Existentialismus-Western „Far From Men“: Der „Herr der Ringe“-Star sprach in seiner Filmkarriere auf der Leinwand bislang nicht nur elbisch, dänisch, spanisch und Lakota (in der Pferdegeschichte „Hidalogo“), sondern kann seit neuestem auch Französisch und Arabisch.

Er tut dies aber keineswegs angeberisch, im Gegenteil: In dem Wettbewerbsbeitrag „Loin des Hommes/Far from Men“ von David Oelhoffen spielt Mortensen seinen polyglotten Volksschullehrer Daru, der in der algerischen Steinwüste arabische Kinder unterrichtet, mit gebotener Zurückhaltung. Wir schreiben das Jahr 1954, den Beginn des Befreiungskrieges der Algerier gegen die französischen Kolonialherren. Daru bekommt den Auftrag, einen Araber namens Mohamed in die nächste gelegene Stadt zu seiner Gerichtsverhandlung zu eskortieren. Dort blüht ihm wegen Mordes an seinem Cousin die sichere Todesstrafe. Daru verweigert zuerst, doch dann tritt er mit Mohamed die Reise an: Wie sich herausstellt, will sich dieser dem französischen Gericht stellen, um durch seine Hinrichtung seiner Familie eine Blutfehde zu ersparen.

Zum Ausgangspunkt seiner Erzählung nahm Oelhoffen die Kurzgeschichte „Der Gast“ von Albert Camus und transportierte sie gekonnt in ein karges, dafür umso eindringlicheres Western-Setting. Die sich anbahnende Verständigung zwischen dem katholischen Franzosen und dem muslimischen Araber vollzieht sich vor dem Hintergrund der nordafrikanischen Wüste. Diese filmt Oelhoffen wie einst John Ford sein Monument Valley: Die Landschaft wird zu einem weiteren Hauptdarstellern in einem auch sonst hervorragend gespielten Drama.

Wettbewerbs-Highlight

„Loin des Hommes“ zählt zu den Höhepunkten eines Wettbewerbsprogramms in Venedig, das sich zumeist im guten Mittelfeld bewegt. Verabreicht wird viel schönes und wohl temperiertes Arthaus-Kino, das jedoch mit wirklich großen Filmen spart. Roy Anderssons schwedischer Beitrag „A Pigeon Sat on a Branch Reflecting on Existence“ ist so ein Fall. In skurrilen Tableaux Vivants entwirft Andersson absurd-komische Einzelszenen: Zwei Männer gehen in eine Bar und verkaufen Vampir-Zähne. Eine Kellnerin kassiert für ihre Schnäpse Küsse statt Geld. Ein Mann stirbt beim Öffnen einer Rotweinflasche.

Die Schauspieler tragen weiße Schminke im Gesicht, ihre Umgebung ist in fahle Farben – senfgelb und lindgrün – getaucht. Mit traurigen Mienen und langsamen Bewegungen bewegen sie sich wie in Zeitlupe durch ihre Szenen und ernteten während der Pressevorführung viel Gelächter. Roy Anderssons Blick auf die Welt ist melancholisch, bizarr und extravagant – aber letztlich auch ziemlich leer.

Wucht des Kampfes

Zu den Arbeiten, die krass aus der Schnittmenge herausragen, gehört zweifellos der Japaner Shinya Tsukamoto mit seinem Kriegsfilm „Nobi“/“Fires on the Plain“: Die Wucht des Kampfes bekommt ein japanischer Soldat Ende des Zweiten Weltkrieges auf den Philippinen zu spüren. Im Chaos der Gefechte schlägt er sich fiebrig durch den Dschungel und kann sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Aus purer Panik erschießt er etwa eine Frau, nur um ihre lauten Schreie zu beenden.

Der Krieg und was er mit den Körpern tut – dafür findet Tsukamoto zu unglaublichen Bildern: Blutgetränkt pulsieren sie über die Leinwand und münden in sadistisch-kannibalistischen Gewaltexzessen. Verstört stolperte das Publikum nach der Vorführung in die Nacht.

Nahtod

Ein Nahtod-Erlebnis versprach schließlich auch ein neuer Film mit Michel Houellebecq, der in Anwesenheit des Autors gezeigt wurde: „Near Death Experience“ nennen die beiden Regisseure Benoit Delepine und Gustave Kervern ihre schlampige Arbeit, in der man nichts anderes sieht als Michel Houellebecq wie er raucht und eine Gelegenheit zum Selbstmord sucht. Mal steht er an einem Brückengeländer, mal am Abgrund – und dazu wird aus dem Off ein poetischer Text über Leben und Sterben eingesprochen. Doch während es der unlängst in den Kinos laufenden Film „Die Entführung des Michel Houellebecq“ formidabel verstand, aus dem Star-Image des Bestseller-Autors eine witzige Tragikomödie zu schmieden, versandet der neue Versuch: In fahrigen, schmutzigen Bildern folgen die Regisseure Houellebecq, der wie besessen durchs Gebirge radelt und dabei den Tod sucht.

Aber ein charismatischer Mann und sein Rad sind einfach nicht genug für einen guten Film.

Schon gar nicht auf dem Filmfestival in Venedig.