Kultur

Tim Parks: Stillsitzen und schweigen

Es ist ja nicht nur so, dass man keinen Sex haben und nichts reden und nicht lesen darf. Man muss noch dazu ... gelassen bleiben. Wie soll man gelassen bleiben, wenn man sein Zimmer mit einem Menschen teilen muss, der die ganze Nacht furzt? Soll der Guru ruhig predigen, man möge tief einatmen.
DAS ganz sicher nicht! Im Roman „Sex ist verboten“ erzählt der in Italien lebende Engländer Tim Parks, 58, von einem buddhistischen Zentrum irgendwo. Dorthin kommen die nach Ruhm Strebenden, Überforderten (also wir) für zehn Tage, um zu meditieren , um sich zu „bessern“. Handy und Zigaretten müssen sie abgeben. Lautlos wird beim Frühstück um die wenigen Bananen für den Haferschleim gekämpft. Nach dem vegetarischen Mittagsmahl gibt’s nichts mehr zum Essen. Am Ende der Besinnungsreise fangen alle wieder mit ihrem Blabla an und machen dieselben Fehler wie zuvor. Es ist lächerlich. Aber immerhin haben sie Kraft getankt, um jetzt auch neue Fehler machen zu können. Sie kommen bestimmt bald wieder.

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Parks selbst besuchte jahrelang Meditationskurse. Er hatte von der jahrelangen Schreibtischarbeit Unterleibsschmerzen, musste ständig pinkeln – und mit Atemübungen ist es gut geworden. Allerdings fragt er sich seither: Nicht reden dürfen, das bedeutet auch: keine Geschichten lieben und erzählen dürfen.
Damit stellte er sich in Frage. Und das geht nicht.

Leeres Hirn

"Sex ist verboten" ist keineswegs ein Abrechnung mit der Philosophie, den Geist zu leeren. Das hat schon was. Der (sehr unterhaltsame) Roman zeigt bloß das Dilemma des modernen Menschen am Beispiel der jungen, hervorstechend weiblichen Ich-Erzählerin Beth, Sängerin einer Band, die zwischen zwei Männern pendelte. Seit acht Monaten ist sie im Sagupta-Institut. Sie hilft gratis in der Küche. Deshalb erlaubt man ihr, so lange zu bleiben, auf ihrer Flucht.
Männer und Frauen sind strikt getrennt. Auch das soll beruhigen; haha.

Beth schleicht in den Männertrakt. Sie findet in einem Zimmer ein Tagebuch. Also etwas Verbotenes. Schreiben darf man nämlich auch nicht. Der Tagebuchschreiber ist ein älterer Skeptiker, ein Verleger mit Familienproblemen. Eine Mann-Frau-Geschichte geht sich auch noch aus. „Baavaatuu saavaa maaangelam“, ruft der Guru. Mögen alle Menschen glücklich sein. Danke. (Peter Pisa)

KURIER-Wertung: **** von *****

Manchmal muss man schlucken oder die Stirn runzeln, weil da z. B. steht: „Ihr Brief ist eine Wiese. Ich habe auf dieser Wiese gegrast. Tag und Nacht. Jetzt verabschiede ich das Bild Wiese und Grasen ...“ Ein Wunder, dass aus „Das dreizehnte Kapitel“ trotzdem etwas Kluges und eigenwillig Schönes wird. Das Wunder heißt Martin Walser. 85 ist er, und in der Figur des auch nicht mehr ganz jungen Schriftstellers mit dem recht unpoetischen Namen Basil Schlupp steigt er voll aufs Gas. Schlupp war mit seiner Frau bei einem Festessen zu Ehren eines Gehirnforschers und konnte seinen Blick von dessen Ehefrau nicht lassen. Dieses einzigartige Gesicht! Die Nase zu deutlich, der Mund zu fest, die Haare „das kälteste Weißblond, das es geben kann.“
Sie schaut Schlupp nicht an. Er findet ihre Adresse heraus und schreibt ihr.

Alle nackt

So entsteht ein Briefroman, der uns nebenbei sagen will: Greift ebenfalls zur Feder, traut euch was!
Vielleicht sollte man nicht im ersten Brief feststellen, dass man nach dem Festessen mit seiner langjährigen Ehefrau geschlafen habe.
Und auch die Erwähnung, man stelle sich jede Frau nackt vor, könnte beim Anbandeln durchaus problematisch sein. Aber dieser Autor (welcher?) macht es. Er ist frisch, philosophisch und – mit großem Vergnügen! – peinlich und erreicht damit, dass ihm die Frau Professor antwortet. Unverzüglich. Sie ist Theologin – dadurch kann Walser den von ihm geschätzten evangelischen Schweizer Theologen Karl Barth (1986–1968) ins Spiel bringen. Der passt schon deshalb gut, weil von Barth der Satz stammt: Gott sei der unbekannte Gott, an den man nur ohne Hoffnung auf Hoffnung glauben könne. Das ist bei Schlupp und Frau Professor Schneilin ja nicht anders.

Sie kommen einander in den Briefen hoffnungslos nah. Ihr schriftliches Abenteuer ist Verrat an den jeweiligen Ehepartnern. Man erzählt einander exklusiv, was daheim verschwiegen wird. Das Buch ist ein Flirt mit dem Unmöglichen; und bekommt tatsächlich so etwas wie Action: Frau Professor Schneilins Ehemann, der Hirnforscher, wird krank, gesund, wieder krank ...
Herr Schlupp wartet auf Post, die nie mehr kommt. „Ohne Unmöglichkeit kann ich nicht leben. Umgeben von nichts als Möglichem erlischt das Leben selbst.“ Bei einer solchen Wahrheit Walsers ist ihm sein seltsames anfängliches Grasen sofort verziehen. (Peter Pisa)

KURIER-Wertung **** von *****

Der Glücksmacher. Kein Geringerer als Schopenhauer wird diesem sich der Suche nach Glück widmenden Buch vorangestellt: Ein Spruch über Weise und Tore. Geschwind schauen, dass man auf der richtigen Seite steht! "Der Glücksmacher" heißt Sebastian Dimsch und arbeitet bei einer Versicherung. (Klingt nach Gregor Samsa und seinem Schöpfer Franz Kafka. Damit hat sich ’s mit den Gemeinsamkeiten. Bloß, dass im ersten Kapitel von Verwandlung die Rede ist. Und ein Herr Käfer vorkommt. Vielleicht Zufall.)
Dieser Dimsch hat das Glück, dass er einen Job hat. Der ihm außerdem nicht viel Energie abverlangt, ihm aber ein Auskommen (für Familie samt Kindern) sichert. Von Existenzsorgen befreit,
kann er sich in seinem Kammerl der Ausschau nach Sinn und weiterem Glück widmen.

Maserati

Dass er von der Chefin (böse, schreibt eMails mit zehn Rufzeichen) abqualifiziert wird, macht nix. Seine vielen Anzüge wirft er zu Beginn der Glückssuche weg. Wie das befreit. Sein Antagonist hingegen, der gebräunte Marketingleiter, trägt Designeranzug, besitzt Penthouse und Maserati. Vordergründig? Kann sein, dass Geld nicht glücklich macht. Allerdings wusste schon Joki Kirschner: „Geld macht glücklich, wenn man rechtzeitig drauf schaut, dass man’s hat, wenn man’s braucht.“ Thomas Sautner, 42, ehemaliger Journalist aus Gmünd, ist in seinem vierten Roman anderer Meinung. (Barbara Mader)

KURIER-Wertung: *** von *****

Die Unzertrennlichen. Es fängt schon gut an. In Lilian Faschingers neuem Roman fällt die Erzählerin beim Begräbnis ihres Vaters ins Grab. Der Blitz hat die Trauergesellschaft getroffen, Gerichtsmedizinerin Sissi landet auf dem Sarg. Am Unfallort trifft sie einen ehemaligen Studienkollegen wieder. Dessen Frau, die gemeinsame Freundin Regina, soll auf der Insel Procida ertrunken sein. Sissi macht sich auf Spurensuche. Also wieder ein Krimi wie schon in der 2007 erschienenen Wien-Groteske „Stadt der Verlierer“, an die auch die Figuren Sissi Fux und Emma Novak anschließen. Doch darum, wer wen um die Ecke gebracht hat, geht es hier gar nicht. Sondern um eine Suche nach Sein und Schein – nach und nach kommt Sissi drauf, dass Regina nicht die war, die sie zu kennen glaubte. Ein bisschen sind „Die Unzertrennlichen“ auch ein Vaterbuch: Der stirbt einsam und alkoholkrank, während dessen Nazivater und die beschränkte Mutter (Wozu verreisen? „Der Steirer hat in seiner Heimat alles, was er braucht“) wie das blühende Leben daherkommen.

Wieder zurück

Lilian Faschinger, geboren 1950 Kärnten, promovierte in englischer Literaturwissenschaft, kam über ihre Arbeit als Übersetzerin zum Schreiben. Seit 20 Jahren veröffentlicht sie Texte, der Roman „Magdalena Sünderin“ (1997) wurde in 17 Sprachen übersetzt. Nach Wien-Romanen und Paris-Erzählungen ist sie nun zurück in der Steiermark. (Barbara Mader)

KURIER-Wertung: *** von *****