Kultur

Tempo und Witz: Gorkij im Volkstheater

In russischen Theaterstücken geht es meist um gelangweilte Wohlhabende, die auf Landgütern in der Gegend herumsitzen und sich dekorativen Hobbys wie Alkohol- oder Eifersucht widmen. Dass sich gleichzeitig draußen die Welt verändert (russische Theaterstücke spielen stets vor einer Revolution) kriegen sie erst mit, als es zu spät ist.

Das ist in Maxim Gorkijs "Kinder der Sonne" nicht anders. Das Besondere an diesem Stück: Während man drinnen noch mit so wesentlichen Fragen befasst ist wie "Wer liebt wen und heiratet ihn doch nicht", ist draußen bereits die Hölle los: Die Cholera ist ausgebrochen, und die Revolution auch. Die Figuren in diesem Stück sind bereits tot, sie wissen es nur noch nicht.

Gorkij zeigt auf gnadenlos komische Weise das Versagen der Elite: Wir sehen Wissenschaftler, Künstler, Intellektuelle, die von einer strahlenden Zukunft für die Menschheit faseln, sich aber in Wahrheit nur für ihre Eitelkeiten, hormonellen Befindlichkeiten und Angstneurosen interessieren.

Aktualität

Dieses Stück, 1905 in Festungshaft geschrieben, ist auf fast verblüffende Weise "aktuell": Die Hungernden und Hoffnungslosen, welche die Mauern der Privilegierten berennen; die Verheißungen der Technologie; Fortschrittsgläubigkeit, Geschäftemacherei, abgehobene Künstler, drohende Seuchen; all das kennen wir doch.

Es ist eine große Qualität dieser Inszenierung von Nurkan Erpulat, dass sie der Versuchung zur banalen Aktualisierung widersteht. Erpulat hat einen großartigen Weg gefunden, die Macht- und Mittellosen ins Spiel einzubauen: Sie halten die Kulissen aufrecht. Statisten tragen während des gesamten Stücks Tischplatten, stützen Wände, fixieren schwere Luster. Allerdings legen sie nach der ersten Stunde auch eine Jausenpause ein – weswegen die Darsteller ungeduldig warten müssen, bis sie weiterspielen können: eine geniale Idee.

Gegen Ende fallen immer mehr "Bühnenarbeiter" der Cholera zum Opfer oder schließen sich der Revolution an – und das Bühnenbild (Magda Willi) verfällt immer mehr. Das Bühnenbild: Auch dieses ist großartig (obwohl es ein wenig an Matthias Hartmanns Inszenierung von "Der zerbrochne Krug" erinnert. Die gesamte Bühne ist mit Dreck und Schlamm bedeckt, mühsam wird von der Hausangestellten eine Spielfläche freigeschaufelt.

Sprühend

Erpulats Inszenierung ist ein wenig modisch, aber sie sprüht vor Ideen (herrlich ist etwa die Szene, wenn die Figuren inmitten des ausbrechenden Chaos’ eine dekonstruierte Version von "Fein sein, beinander bleiben" im Chor singen). Sie ist hart, präzise und auch sehr komisch.

Die Darsteller sind allesamt gut, vor allem: Patrick O. Beck als in seine Forschung verliebter Professor, Nanette Waidmann als dessen sensible Schwester, Claudia Sabitzer als groteske, liebesberauschte Witwe, Günter Franzmeier als eitler Künstler und Alexander Lhotzky als aufsässiger Schlosser.

Sehr langer, sehr freundlicher Applaus.

KURIER-Wertung: **** von *****

Fazit: Tempo und viel Witz

Stück
Gorkijs "Kinder der Sonne" zeigt eine Elite, die sich in eitlen Spielchen ergeht, während die Welt zerfällt.

Regie
Die Aufführung ist modisch, aber nie unangenehm eitel, sie hat Tempo und viel Witz. Sie ist aber – trotz einer Spielzeit von nur zwei Stunden – etwa 20 Minuten zu lang. Manchmal wird es ein wenig zäh und redundant.

Spiel
Gut.