Kultur

Starkes Finale in Venedig: Nicht heimatlos, nur hauslos

Die 77. Filmfestspiele in Venedig gingen in ein besonders starkes Finale – dank der zweifachen Oscarpreisträgerin Frances McDormand in „Nomadland“.

Seit beginn des Festivals galt der amerikanische Wettbewerbsbeitrag der in China geborenen Regisseurin Chloé Zhao als großer Favorit und schaffte es locker, alle hochgeschraubten Erwartungen zu erfüllen. Allein, dass Zhao die resolute Frances McDormand, berühmt als schwangerer Sheriff in „Fargo“ oder als rächende Mutter in „Three Billboards Outside Ebbing, Missouri“, für die Hauptrolle gewinnen konnte, erwies sich als Haupttreffer.

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McDormand leidet weder unter besonderer Eitelkeit, noch fürchtet sie sich vor dem Alter. In ihrer Rolle als Witwe namens Fern befindet sie sich am Rande des Existenzminimums und führt ihr gesamtes Hab und Gut in einem umgebauten Lieferwagen mit sich.

„Ich bin nicht ,homeless‘, ich bin nur ,houseless‘“, erklärt sie besorgten Bekannten und tritt eine prekäre Reise durch den Westen der USA an.

Dort trifft sie andere Camper – Menschen mittleren Alters so wie sie –, die es sich nicht leisten können, in Pension zu gehen, mit ihren mickrigen Jobs aber auch kein bürgerliches Leben finanzieren können. Sie campieren in den Weiten Nevadas, versammeln sich um Lagerfeuer und suchen eine tiefe Verbindung zur Natur jenseits der zivilisatorischen Komfortzonen.

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McDormand verkörpert Fern mit der Unerschrockenheit einer Pionierin. Wer neben dem Straßenrand pinkelt oder seine Geschäfte auf einem Kübel verrichtet, hat keine Muse für Schönheitspflege. Mit strubbeliger Kurzhaarfrisur und forschem Blick stellt sich Fern den Herausforderungen eines Lebens „on the road“, jobbt in Fastfood-Restaurants und putzt Klos. Selbstmitleid ist keine Option.

Abgesehen von Frances McDormand und David Strathairn, engagierte die Regisseurin Menschen, die tatsächlich als moderne Nomaden leben und ihre eigenen Geschichten in den zartfühlenden Film einbringen.

Inspiriert wurde Zhao von Jessica Bruders Buch „Nomadland: Surviving America in the Twenty-First Century“ und Bob Wells, einem Radikal-Nomaden, der in „Nomadland“ einen herzzerreißenden Auftritt hat und erzählt, wie er mit dem Tod seines Sohnes umgeht. Dabei besticht „Nomadland“ nicht nur mit seinem fast dokumentarischen Blick auf die Ränder der Gesellschaft, sonder auch mit der poetischen Schönheit seiner Landschaften.

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So ging mit „Nomadland“ ein Filmfestival im Ausnahmezustand glorios zu Ende. Venedig-Chef Alberto Barbera war es gelungen, ein starkes, globales Arthouse-Programm zusammenzustellen, bei dem mit acht Regisseurinnen im Wettbewerb mehr Frauen als üblicherweise. zum Zug kamen.

Kein Netflix

Amerikanische Großproduktionen hingegen glänzten durch Abwesenheit. „Nomadland“ war – sieht man von dem Liebesdrama „The World to Come“ ab, das von den Amazon Studios gekauft wurde – die einzige US-Studioproduktion im Bewerb.

Netflix beispielsweise hatte einen Venedig-Auftritt kategorisch abgelehnt und sogar seinen neuen Charlie-Kaufman-Film „I’m Thinking of Ending Things“ während des Festivals auf VOD veröffentlicht. Für die kommende Oscar-Preisverleihung braucht es nämlich heuer keinen Kinostart, um mit einem Film antreten zu können. Trotzdem konnten sich in Venedig einige Filme als Oscar-Anwärter in Stellung bringen. Neben „Nomadland“ gehört dazu Regina Kings Filmdebüt „One Night in Miami“ über ein Treffen zwischen Malcolm X und Cassius Clay, und Mona Fastvolds lesbisches Liebesdrama „The World to Come“.

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Apropos: Besonderen Eindruck auf dem Filmfestival hinterließ die Schauspielerin Vanessa Kirby. Die Britin – bekannt als Prinzessin Margaret in der Netflix-Serie „The Crown“ – spielte nicht nur eine der unglücklichen Frauen in „The World to Come“, sondern brillierte auch in Kornél Mundruczós Frauenporträt als trauernde Mutter in „Pieces of a Woman“. Auch sie ist eine der Gründe, warum die 77. Filmfestspiele von Venedig – nicht nur wegen Corona – in Erinnerung bleiben werden.

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