Kultur

Sind Schweden so gute Mörder?

Er gehört neben Henning Mankell zu den wichtigsten Krimiautoren Schwedens. Seine Bücher wurden verfilmt und ausgezeichnet, sie wurden Bestseller und Schullektüre. Mit seinem jüngsten Roman scheint sich Håkan Nesser neu zu erfinden.

Nach fünf Inspektor Barbarotti-Romanen und zehn Kommissar-Van-Veeteren-Krimis hat Nesser genug von Schnüfflern: In „Himmel über London“ geht es nur vordergründig um den Uhrenmörder. Nesser schreibt von osteuropäischen Geheimdiensten, Doppelgängern, einsamen Schäferhunden und traurigen alten Männern. Er erzählt mehrere Geschichten parallel und legt viele Fährten, die letztlich im Sand verlaufen. Fans von erlösenden Feststellungen wie „Der Gärtner war’s“ werden enttäuscht sein. Das „Whodunit“ steht längst nicht mehr im Vordergrund.

Im Kleinen Café am Franziskanerplatz erzählte der gelernte Lehrer, der 25 Jahre 24 Stunden pro Woche im Klassenzimmer stand, bevor er Erfolgsautor wurde, was er in Zukunft machen will. Seinen Großen Braunen bestellt er in einwandfreiem Deutsch.

KURIER: Interessiert Sie die Frage, wer der Mörder war, noch?

Håkan Nesser: Nein. Ich will raus aus dem Krimi-Genre. Auch in meinem nächsten Buch geht’s nicht mehr um Verbrechen.

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Ging’s Ihnen in „Himmel über London“ je darum, den Fall zu lösen?
Nein. Ich weiß gar nicht mehr: Kommt da überhaupt ein Verbrechen vor?

Ja sicher, der Uhrenmörder
Ach ja, der. Nein, aber ich hatte nie vor, einen Mord aufzuklären. Mir ging es um den Erzähler, dem man nicht trauen kann.

Und um ein Buch, das über seine Leser Bescheid weiß. Beängstigend.
Ja, soll es ja sein. Vielleicht ist das eine Hommage an das Schreiben selbst und an die Idee: Wenn der Autor plötzlich nicht da ist, was passiert dann mit den Figuren?

Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Ihre Figuren über Sie Bescheid wissen? Dass sie sich verselbstständigen?
Nein. Autoren behaupten ja gerne, dass ihnen die Protagonisten die Handlung vorschreiben. Ich wusste hier selbst ganz gut, was ich tue. Obwohl ich mir über das Ende nicht ganz im Klaren war. Ich hatte bloß eine vage Idee.

Arbeiten Sie immer so? Andere Schriftsteller wissen genau, wohin der Plot sie führt.
Da würde mir langweilig beim Schreiben. Man muss bei der Arbeit Spaß haben.

Wie viele Jahre haben Sie jetzt mit Verbrechen verbracht?
Meinen ersten Roman schrieb ich vor 25 Jahren, das war aber kein Krimi. In dem Genre bin ich seit 20 Jahren.

Warum ist der Schweden-Krimi so eine Marke?
Wegen den deutschen Käufern. Vom Schreiben zu leben, ist schwierig, aber wenn du dich als Schweden-Krimi verkaufst, hast du eine Trade-Mark. Doch es wird bald vorbei sein. Als ich und Mankell in den 90ern starteten, dachte ich, das ist in zehn Jahren vorbei. Und dann kam Stieg Larsson und der Hype wurde noch größer.

Das ist jetzt ernst gemeint: Kann es sein, dass das schlechte Wetter Skandinaviens zu finsteren Storys inspiriert?
Das stimmt irgendwie. Aber in Deutschland und Österreich kommt der Erfolg daher, dass dort die Kinder mit Astrid Lindgren aufgewachsen sind. Bullerbü ist schuld am Erfolg der Schweden-Krimis.

Astrid Lindgren hatte aber auch ihre finstere Seiten. Denken Sie an die Gebrüder Löwenherz, die gleich zwei Mal sterben.
Ja, unglaublich, ein Kinderbuch mit Selbstmord. Das ist schon erstaunlich. Und dann ist da natürlich die dunkle Seite der Schweden, die die Welt aus Ingmar-Bergmann-Filmen kennt. Es gilt offenbar als Teil des Nationalcharakters: Schweden sind angeblich gute Mörder.

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Lesen Sie selbst Krimis?
Klar, die Klassiker. Chandler, Highsmith. Und zuletzt eine Engländerin namens Belinda Bauer, die ist gut. Aber im Allgemeinen verstehe ich nicht, was die Leute an den immer gleichen Polizeigeschichten interessiert.

Viele Ihrer Stammleser werden enttäuscht sein, wenn Sie keine Krimis mehr schreiben.
Ja. Aber manchmal muss man Menschen enttäuschen. Wenn man immer dran denkt, was die Leser wollen ... dann ist man bei der 69. Fassung von Shades of Grey. Dann ist man verloren. Und ganz ehrlich: Ich bin jetzt 63. Ich habe wahrscheinlich noch zwei Bücher in mir. Und dann war’s das.

INFO: Håkan Nesser: „Himmel über London“ Aus dem Schwedischen von Christel Hildebrand. btb Verlag. 272 Seiten. 15,99 Euro.