Kultur

Biedermann und Branntweiner

Johann Nestroys 1833 uraufgeführtes Stück „Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“ nennt sich verharmlosend eine „Zauberposse“. Darin ein hartes, politisches Stück freizulegen, dazu braucht es keine Regietricks: Zwei von drei Handwerksburschen verweigern sich der ihnen auf dem Silbertablett servierten Biedermeierlichkeit und fliehen lieber in Exzess und Selbstzerstörung.

Regisseur Matthias Hartmann liegt sicher nicht falsch, wenn er in ihnen Vorläufer der Punk-Bewegung erkennt: Zur Revolution fehlen ihnen Kraft und die Mittel, also distanzieren sie sich von einer ihnen verhassten Gesellschaft durch Selbstvernichtung. Sie sind typische Figuren des Vormärz: Ein paar Jahre später, 1848, wird sich ihre Wut nicht mehr nach innen, sondern nach außen richten.

Mit all dem Zauber- und Feen-Brimborium, der ganzen Scheingemütlichkeit und dem deprimierend verlogenen Happy End hat Nestroy sein Stück an der Metternich’schen Zensur vorbeigeschmuggelt – und wohl dennoch seinen Zeitgenossen klargemacht, was er meint.

Szenenfotos aus Salzburg

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Kleinkariert

Es ist das große Verdienst dieser seltsam zerrissen wirkenden Inszenierung von Matthias Hartmann, dass sie nach der Pause genau das zeigt: Hartmann entwirft eine harte, gnadenlose Studie einer Gesellschaft, in der man nur die Wahl hat zwischen einer eisigen, kapitalistischen, buchstäblich kleinkarierten (Kostüme: Victoria Behr) Spießerhölle im IKEA-Format – oder der Selbstzerstörung.

Umso merkwürdiger, dass sich Hartmann vor der Pause vom Stück zu distanzieren scheint. Es beginnt mit einer holzgehämmerten Polit-Satire: Das Feenreich als Brüsseler EU-Paradies samt Sternenbanner und Rednerpulten und prassenden Griechen – sind wir hier auf einem Schulskikurs? Gerettet wird der Anfang nur von Maria Happel, die eine zum Brüllen komische, sehr exakte Parodie von Angela Merkel (mit Füllhorn) entwirft und deren automatisierte Gestik entlarvt.

Trash-Revue

In dieser Tonalität geht es weiter. Hartmann scheint sagen zu wollen: Alles nicht ernst zu nehmen. (Wobei sich die Frage aufdrängt: Warum inszenieren Sie es dann?). Die Handlung rollt als grelle Trash-Revue in Musikantenstadl-Schiebekulissen (Bühne: Stéphane Laimé) ab, es gibt Zitate aus Pop und Schlager und Mozart-Opern.

Manches ist großartig und komisch. Etwa die Szene im Ulmer Wirtshaus, die auf dem schmalen Grat zwischen Party und Schlägerei dahin taumelt, während Nicholas Ofczarek Ensemble und Publikum durch eine dionysische Version von „Eduard und Kunigunde“ dirigiert.

Weniger gut gerät dagegen die Szene in Prag, die zeigt, wie der Schneider Zwirn sein Geld verprasst (in jeder Lumpazi-Inszenierung ein gefährlicher Moment). Michael Maertens spielt ein außer Rand und Band geratenes tapferes Schneiderlein auf Unterhaltungschemie, während rund um ihn die Operettenversion einer RTL2-Doku-Soap tobt. Das soll sicher satirisch wirken, ist aber vor allem anstrengend.

Wahrhaftigkeit

Ganz wunderbar gelingen dafür andere Szenen, vor allem, wenn Florian Teichtmeister als Leim beteiligt ist, der so etwas wie Wahrhaftigkeit bewahrt, selbst wenn rund um ihn Mörbisch ausbricht. Seine Szenen mit der verloren geglaubten Liebsten (Katharina Knap) sind einfach auf eine zarte Weise schön. Und die mit Hermann Scheidleder (er spielt den Wirt Strudl, von dem Leim annehmen muss, er habe ihm sein Mädchen weggeheiratet) sind von einer hinreißenden, zurückgenommenen Komik.

Wie gesagt: Nach der Pause erlebt man ein anderes Stück. Grandios ist Nicholas Ofczareks Darstellung des Knieriem: Er entwirft schonungslos die Studie eines Alkoholikers im Endstadium, der brüllend und sabbernd zum Branntweiner kriecht.

Florian Teichtmeister ist stark, seine Verwandlung zum tiefgekühlten Spießer gelingt erschreckend gut. Michael Maertens als überdrehter Zwirn ist so virtuos überdreht, dass man sich den ganzen Abend fragt, ob das nicht zu viel ist. Komischerweise geht es einem oft so, wenn dieser geniale Schauspieler Komödie spielt.

Das Schlussbild ist dann so großartig, dass einem der Atem wegbleibt: Die Köpfe von Leim, Zwirn und Knieriem stecken in einem Puppenhaus, wie mit Psychopharmaka sediert, zelebrieren sie ihr Spießeridyll.

Die Welt steht sowieso nicht mehr lang. Der Komet kommt zwar nicht, dafür aber die Revolution, und ein paar Jahrzehnte später der Erste Weltkrieg

Großer Jubel für das tolle Ensemble (vor allem für die Hauptdarsteller und Maria Happel) und die sensationell gute Live-Band rund um Karsten Riedel, kleinerer für das Leading Team.

Fazit: Trash und Studie

Stück Die Feenwelt erlaubt sich ein Experiment: Lottogewinn oder Liebe – was macht Menschen eher brav und fügsam?

Regie Es ist Hartmanns erster Nestroy und er findet ungewöhnliche Blickwinkel, von der Trash-Revue bis zur Sozialstudie. Ab September im Burgtheater.

Spiel Großteils sehr stark.

KURIER-Wertung: *** von ***** (vor der Pause)

KURIER-Wertung: ***** von ***** (nach der Pause)