Kultur

Ruth Beckermanns "Waldheims Walzer“: Wahlkampf wie ein Thriller

Heute, Sonntag, heißt es lange aufbleiben: Erstmals läuft Ruth Beckermanns spannungsreiche, packend-pointierte Doku „Waldheims Walzer“ im Fernsehen (23.05 Uhr, ORF 2).

„Die Ausstrahlungszeit ist typisch ORF“, muss sich Ruth Beckermann im KURIER-Gespräch ein bisschen ärgern: „Man scheint davon auszugehen, dass sich niemand für solche Filme interessiert. Warum, weiß ich nicht.“

Tatsächlich haben 30.000 Zuseher den Film bereits im Kino gesehen und bewiesen, dass es großes Interesse am politischen Dokumentarfilm gibt. Zumal „Waldheims Walzer“ ein brisantes Stück österreichischer Geschichte aufrollt und die Debatte rund um die umstrittene Wahl Kurt Waldheims zum Bundespräsidenten mitreißend nachzeichnet.

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„Waldheim Nein!“-Rufe und „Waldheim Ja“-Schreie begleiten lautstark im Mai 1986 die Abschlusskundgebung von Waldheims Präsidentschaftswahlkampf auf dem Stephansplatz. Aufgebrachte Passanten debattieren beziehungsweise brüllen aufeinander ein. Die Stimmung ist sichtlich aufgeheizt.

Die Bilder von diesen Ereignissen stammen von einer Videokamera, die Ruth Beckermann damals mit sich führte: „Es war nicht einmal meine eigene Kamera“, erinnert sich die Regisseurin heute: „Ich hatte absolut nicht vor, daraus einen Film zu machen.“

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Stattdessen ging es ihr darum, eine „Gegenöffentlichkeit“ herzustellen. Widerständige Stimmen, die sich gegen die Kandidatur von ÖVP-Kandidat Waldheim zum Bundespräsidenten stellten, wurden weitgehend übersehen, sagt Beckermann: „Das öffentlich-rechtliche Fernsehen und ein Großteil der Presse haben uns ignoriert. Deswegen habe ich gefilmt – um die Geschichte auch von unserer Seite zu dokumentieren.“

Nicht nur ihr eigenes Material von Kundgebungen und öffentlichen Auseinandersetzungen, auch ORF-Mitschnitte und Aufnahmen aus internationalen TV-Archiven verschmolz Beckermann zu einem treffsicheren Kompilationsfilm.

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Erinnerungslücke

Kurt Waldheim hatte, entgegen erdrückender Beweise, hartnäckig geleugnet, von Nazi-Gräuel wie Massendeportationen gewusst zu haben. Im Zuge der Debatten, angestoßen von Hubertus Czernin im profil rund um Waldheims Mitgliedschaft bei der SA, entlarvten sich dessen Behauptungen als Lügen. Beim Antritt des Ex-UNO-Generalsekretär zum Wahlkampf wurde diese Erinnerungslücke zum umkämpften Politikum, das weite Kreise zog: „Hätten sich nicht der jüdische Weltkongress, die USA und das westliche Ausland auf Österreich gestürzt und die Sache zum großen Thema gemacht, wäre die Waldheim-Affäre unter den Tisch gekehrt worden“, glaubt Beckermann. „Ohne die Unterstützung der täglichen Berichterstattung in den französischen, britischen und amerikanischen Medien hätten wir nicht diese Aufmerksamkeit erlangt.“

Auch der heimische Journalismus habe sich damals verändert, meint die Filmemacherin: „Die österreichischen Journalisten haben – etwas überspitzt formuliert – begonnen, ausländische Zeitungen zu lesen. Man hat gesehen, dass es noch andere Perspektiven gibt als die kleinstaatliche.“

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Das emotionale Herzstück von Beckermanns charismatischer Doku liefert aber Waldheims Sohn. In einer der aufregendsten Momente des Films zeigt Beckermann nie gesendetes Material von der Befragung Gerhard Waldheims während eines US-Hearings: Mit gesenktem Haupt versucht er, seinen Vater zu verteidigen, dessen Angaben sich als falsch herausgestellt haben: „Ich schwanke zwischen Ablehnung und Mitleid mit ihm, weil er sehr hart hergenommen wird“, befindet Beckermann ihr archivarisches Fundstück: „Man fragt sich: Warum tut er das? Die Solidarität in dieser Familie und ein Gefühl von Ehre war sichtlich sehr groß.“

Wie in einem Thriller zählt Beckermann in „Waldheims Walzer“ die Tage bis zur Stichwahl zum Präsidenten herunter: „Heute weiß jeder, wie die Wahl endete. Trotzdem ging bei der Premiere in Berlin ein großer Seufzer durch das Publikum, als das Ergebnis bekannt gemacht wird. Das war toll.“

Dass die Waldheim-Affäre eine Veränderung der Haltung der Österreicher zur Nazi-Zeit eingeläutet hat, ist sich Ruth Beckermann sicher: „Das war der Beginn des Endes der Nachkriegszeit – mit allen ihren Lügen.“

Absolut sehenswert.

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