Kultur

River Phoenix' Brief aus dem Jenseits

Eine der schönsten Fähigkeiten des Kinos ist es, die Toten wieder zum Leben erwecken zu können. Und so erlebte einer der vielversprechendsten Schauspieler seiner Generation eine Wiederauferstehung auf der Berlinale: River Phoenix, der 1993 im Alter von nur 23 Jahren an einem Koks-Heroin-Cocktail verstarb, tauchte unverhofft auf der Leinwand in einem "neuen" Film wieder auf. In dem Western "Dark Blood", der vor zwanzig Jahren gedreht und nach dem plötzlichen Tod von Phoenix zehn Tage vor Drehschluss abgebrochen werden musste.

Das bereits abgedrehte Material - vor allem Außenszenen - wurde von der Versicherungsgesellschaft in Verwahrung genommen und verschwand. Doch irgendwann beschloss der niederländische Regisseur Georges Sluizer ("Spurlos verschwunden"; 1988; "Spurlos", 1993), mittlerweile 80-jährig und krank, noch vor seinem (nahenden) Tod die vorhandenen Teile zusammen zu schneiden und in eine vorzeigbare Form zu bringen.

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Gleich zu Beginn von "Dark Blood" sieht man auf einem Standbild Sluizer neben River Phoenix stehen. Aus dem Off erklärt der Regisseur, wie er die fehlenden Szenen mit (seiner eigenen) Erzählerstimme füllt, um so die Lücken zu schließen: Sein Film, sagt Sluizer, "war wie ein Stuhl mit zwei Beinen. Jetzt hat er zumindest drei und kann stehen, auch wenn das vierte fehlt."

Tatsächlich handelt es sich bei "Dark Blood" um eine Art Edel-Trash-Western, der den feurigen Geist des B-Movies atmet. Ein nicht mehr ganz junges Hollywood-Ehepaar - gespielt von Jonathan Pryce ("Brazil") und Judy Davis - rattert in einem Bentley durch die Wüste von Arizona und hat binnen kurzem die vorhersehbare Motorpanne. Gestrandet im Niemandsland, nippt das ausgebuffte Pärchen Cognac aus dem Flachmann und überlässt sich dann seinem Schicksal. Dieses tritt in Form von River Phoenix auf dem Plan, als schräger Vogel namens Boy, in dessen Adern das Blut von Navajo-Indianern fließt.

Entrückt und unwirklich

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Es ist geradezu herzzerreißend, wie unglaublich jung das Gesicht von River Phoenix die Leinwand ausfüllt. Phoenix hat die sehnige Gestalt und das schmale Fuchsgesicht eines Mannes, der hungrig nach dem Leben trachtet. Gleichzeitig, und weil man als Zuschauerin schon weiß, dass er längst tot ist, bekommt seine Erscheinung etwas Entrücktes, Unwirkliches, oder besser gesagt: Wiedergängerisches.

Das mag vielleicht auch an der leicht meschuggenen Rolle liegen, die Phoenix mit ironiefreiem Ernst spielt. Mit glühenden Augen umwirbt er die geschmeichelte Judy Davis, deren Filmehemann Pryce wutentbrannt dem potenziellen jugendlichen Liebhaber das Feld überlässt. Unterschwellig wird nämlich nicht nur die Rivalität der beiden Männer um die Frau, sondern auch die Niedertracht der Weißen gegen die indigene Bevölkerung in Arizona verhandelt. Boy ist auch der Besitzer einer unterirdischen, mit Gegenständen indianischer Stammeskultur vollgerammelten Höhle, in der er den Weltuntergang erwarten möchte. Deswegen herrscht bis zum flammenden Finale in "Dark Blood" denn auch immer ein leicht apokalyptischer Ton vor.

Insgesamt ist Sluizers Film von großer Vordergründigkeit und manchmal nahezu lachhaft altmodischer Inszenierung. Ziemlich unwahrscheinlich, dass "Dark Blood" - wäre er damals regulär in die Kinos gekommen - seinen Weg in das Programm der Berlinale gefunden hätte. So aber erreicht er uns zwanzig Jahre später wie ein trauriger, berührender Brief aus dem Jenseits.