Kultur

Renée Fleming: "Jeder Mensch kann singen"

An der Wiener Staatsoper beginnt am Sonntag eine neue Ära. Erstmals überträgt das Haus am Ring eine Aufführung via Livestream im Internet. Und zwar den „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, mit Superstar Renée Fleming als Marschallin. Die Sopranistin im Interview.

KURIER: Frau Fleming, die Marschallin zählt zu Ihren absoluten Paraderollen. Was fasziniert Sie so an dieser Figur?
Renée Fleming:
Die Marschallin ist ein so vielfältiger, so komplexer Charakter. Ich finde in dieser Rolle immer etwas Neues. Abgesehen davon ist die Musik, die Strauss hier komponiert hat, ein absolutes Wunder – das ist einfach genial und berührend.

Ändert sich bei einem Livestream etwas in Ihrer Interpretation? Gelten da andere Bühnen-Gesetze?Ich finde es großartig, dass die Staatsoper das jetzt auch macht. In den USA sind Livestreams längst gang und gäbe. Für uns Sänger heißt das aber, dass wir noch schöner aussehen müssen, noch glaubhafter agieren sollten. Aber das ist die neue Zeit. Ich war etwa unlängst in Asien. Und es ist doch wunderschön, wenn man einen „Rosenkavalier“ aus Wien auch dort sehen kann. Das ist wie ein Kurzurlaub in Wien, der alle Menschen verbindet.

Aber der Druck auf die Künstler steigt aufgrund der Neuen Medien? Natürlich. Heute muss man nicht nur singen können. Es geht immer um das gesamte Package. Die Stimme, die Optik, das Spiel. Die Zeit des bloßen Rampensingens ist längst vorbei. Das ist auch gut so. Nehmen wir nur einen Tenor wie Jonas Kaufmann. Er ist das Ideal des Sängers der Gegenwart und der Zukunft. Da stimmt das Gesamtbild. Wir brauchen einfach solche Stars. Denn wir haben viel zu wenige Stars.

Wir haben zu wenige Stars?
Ja. Die Musik generell, also auch die klassische, lebt von Persönlichkeiten. Warum auch nicht? Wir erreichen über Internet, über YouTube die Menschen weltweit. Musik ist eine Sprache, die jeder verstehen, über die man perfekt kommunizieren kann. Ich glaube ja ganz fest: Jeder Mensch kann singen! Das ist die unmittelbarste Art, Gefühle auszudrücken. Und wenn man dann noch Richard Strauss singen darf ...

2014 jährt sich der Geburtstag des Komponisten zum 150. Mal. Da werden Sie wohl oft im Strauss-Einsatz sein?
2014 wird wirklich ein Strauss-Festival. Die „Arabella“ bei den Salzburger Osterfestspielen mit Dirigent Thielemann, die „Ariadne“ in Dresden auch mit Thielemann, sogar das Silvesterkonzert mit Thielemann – es kommt sehr viel Strauss, weil er zu meiner Stimme passt. Nach all den Jahren der eher lyrischen Partien bin ich jetzt endgültig in diesem Fach angekommen. Aber abgesehen davon habe ich auch viele andere schöne Projekte.

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Auch an der Staatsoper?
Direktor Dominique Meyer und ich reden über etwas Konkretes. Aber noch ist nichts entschieden. Inzwischen kann ich mich auch der zeitgenössischen Musik widmen. Die liebe ich ja. Es gibt nichts Aufregenderes als mit einem lebenden Komponisten ein neues Werk erarbeiten zu dürfen. So wie mit Andre Previn „A Streetcar named desire“. Andre und ich planen ohnehin wieder etwas Gemeinsames ...

Können Sie verstehen, dass das Publikum vor zeitgenössischer Klassik oft zurückschreckt?
Ja. Da gibt es ein grundsätzliches Problem. „Streetcar“ etwa ist einfach nur gute Musik. Ein bisschen jazzig, sehr hörbar, fantastisch gemacht. Das gilt dann gleich wieder als altmodisch. Dagegen wehre ich mich. Es gibt nur gute und schlechte Musik. Damals wie heute. Und mit dem Kopf allein wird kein Komponist die Herzen des Publikums erobern.

Auf Ihrer neuen CD „Guilty Pleasures“ demonstrieren Sie die gesamte Bandbreite Ihres Repertoires, von Berlioz über Delibes, Tschaikowsky, Wagner bis zu Corigliano oder dem traditionellen Song „Danny Boy“ ...
Es war mir sehr wichtig all diese Facetten der Musik zu zeigen. Ich werde mit diesem Programm hoffentlich auch auf Tournee gehen. Mit dem Wiener Musikverein gibt es schon konkrete Pläne für einen Liederabend.

Gibt es auch Pläne für eine neue CD?
Ja, ich kann nicht widerstehen. Mein nächstes Album wird Weihnachtslieder enthalten. Aber keine Angst, das kommt erst 2014 heraus. Ich finde diese Lieder einfach nur wunderschön. Und wenn man sie ehrlich singt, besteht auch keine Kitsch-Gefahr. Das ist in der Kunst das Wichtigste: Man darf nie lügen. Nur was man wahrhaftig macht und meint, hat auch Bestand. In der Musik und im Leben sowieso.

Fleming als Marschallin live um 14 Euro

Ein Livestream kostet € 14,–; ein On-Demand-Stream von aufgezeichneten Produktionen kostet € 5,– und steht eine Woche lang zur Verfügung.