Kultur

Reiseliteratur: Man schwärmte von Afghanistan

Für die Schweizer Schriftstellerin Annemarie Schwarzenbach war es das "Land der Heimkehr": Persien, der heutige Iran, war in der Reiseliteratur der 1930er-Jahre ein Ort der kulturellen Verheißungen. Der Orient, heute Zentrum der Kriegsberichterstattung, galt als Kulturpilgerstätte, Kabul, die heute zerstörte Hauptstadt Afghanistans, als Hochburg der Architektur.

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Das Abenteuer Orient faszinierte schon den amerikanischen Schriftsteller John Dos Passos, der 1921 ausgehend von Konstantinopel den Orient erkundete. Sein Reisebericht "Orient-Express", im Original 1927 veröffentlicht, wurde erst 2013 ins Deutsche übersetzt. Der KURIER berichtete. Dos Passos beschreibt, geprägt von Kapitalismuskritik, bereits die Ansätze dessen, was wir heute aus den Nachrichtensendungen kennen.

Arabische Nächte

Doch auch Schwärmerei ("Ah, diese bonbonfarbenen arabischen Nächte") und feiner Humor finden Platz. Er macht sich lustig über Touristen-Luxus ("Vom algengarnierten Meeresfrüchtebuffet (...) wehte Gezeitengeruch heran"); er belauscht Gespräche Einheimischer und er schenkt Kamelen große Aufmerksamkeit. Manche sind mürrisch, sein eigenes zieht gern die Augenbrauen hoch und ist "bemerkenswert wählerisch" beim Essen. Außerdem lernt man bei Dos Passos, dass man sich beim Melonenessen im Orient sehr beeilen muss, denn sonst fressen einem die Fliegen alles weg.

Einen ähnlich spöttischen, aber zugleich schwärmerischeren Ton legt Robert Byron in "Der Weg nach Oxiana" an den Tag. Shakespeare, Rembrandt oder die Kunst des klassischen Griechenlands bedeuteten dem britischen Reiseschriftsteller wenig. Byron wollte zu neuen Ufern aufbrechen.

Harry’s Bar

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Robert Byron war Dandy und Gelehrter und galt, ähnlich wie sein Verwandter, der romantische Dichter George Gordon "Lord" Byron, als Exzentriker. In Venedig "flüchtete" er vor der Kultur in Harry’s Bar (– auch Dos Passos hatte für Venedig wenig übrig: "Protzige Kulisse für gaffende Touristen").

Byrons Interesse galt der Byzantinischen Kunst. Fasziniert von einem Grabturm in der turkmenischen Steppe, machte sich der 28-Jährige 1932 auf eine elfmonatige Reise, um die Ursprünge der islamischen Architektur zu suchen. Es folgte ein Buch über Natur, Politik, Geschichte, Menschen und Lebensart der Region "Oxiana", benannt nach dem afghanisch-tadschikischen Grenzfluss Oxus (heute heißt er Amu Darya). "Der Weg nach Oxiana" wurde zum Bestseller.

Zum Ruhm des Buches trug möglicherweise auch der für einen Kriegs-und Reisereporter standesgemäße frühe Tod seines Verfassers bei. In seinem kurzen Leben reiste Byron bis nach China und Tibet und ertrank, als sein Schiff im Zweiten Weltkrieg von einem deutschen U-Boot beschossen wurde. Er wurde nur knapp 36 Jahre alt, wie sein berühmter Verwandter.

Byrons Reisebericht beschreibt begeistert architektonische Sehenswürdigkeiten (prangert allerdings vieles als "Touristenkitsch" an), und nimmt den Rest nicht bierernst.

Welcher Konfession er angehöre, wird er in Palästina gefragt. "Für die Dauer meines Aufenthalts werde ich Orthodoxer sein" – "Ich werde Gott davon unterrichten".

Seine Landsleute schätzt er wenig – in Zypern schreibt er: "Unter englischer Herrschaft schlägt dem Reisenden vorsätzliches Banausentum entgegen". Auch die Beziehung zu Persien lässt sich zunächst schwierig an: "Hier begegnet man missionarischem Eifer der Rauchen-und-trinken-ist-schlecht-Sorte".

Überhaupt, das Politische: Um mit seinem Reisepartner über den Schah von Persien sprechen zu können, sucht er einen Codenamen. Mr. Smith vielleicht? Nein, so nennt er schon Mussolini. Na, dann Mr. Brown? Nein, so heißt schon Stalin ...

Schaffell und Raki

Karger und ernsthafter sind die zur selben Zeit entstandenen Reisereportagen von Annemarie Schwarzenbach, nachzulesen etwa in "Winter in Vorderasien": "Genug Licht zum Schreiben, Feuer, eine Schaffelldecke, Raki – nicht mehr braucht man und nicht weniger", schrieb die 27-Jährige furchtlos, als sie zu ihrer ersten Reise in den Nahen Osten aufbrach, wohin sie zwischen 1933 und 1935 vier Mal reiste.

Die aus einer wohlhabenden Zürcher Familie stammende junge Autorin liebte an Persien das "Abenteuer Landstraße", fotografierte und schrieb für das Schweizer Feuilleton und kam zu überraschenden Einsichten: "Was auch immer man mir von Persien gesagt hatte – dies noch nicht: Dass es nach Anatolien und Irak, nach den vielen fremden Erfahrungen, ein Land der Heimkehr ist".

Schwarzenbach war oft für Überraschungen gut: 1939 fuhr sie in einem Ford von Genf bis nach Kabul, wenig später brach sie auf nach Afrika. Von ihrer letzten Afrikareise kehrt sie 1942 in die Schweiz zurück, wo sie wenige Monate später starb – an den Folgen eines Fahrradunfalls.

Mit herkömmlichen Reiseführern haben sie nichts zu tun: Seit 1985 erscheinen in der von Hans Magnus Enzensberger und dem Verleger und Buchgestalter Franz Greno begründeten Reihe "Die Andere Bibliothek" Reisebücher der ganz besonderen Art: Farbenprächtige, originelle Blicke auf diese Welt von Alexander von Humboldt, Adelbert von Chamisso oder Johann Kaspar Riesbeck, dem reisenden (angeblichen) Franzosen. Seine "Briefe eines reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder in Paris", ursprünglich 1783 verlegt, wurden von der Anderen Bibliothek vergangenes Jahr neu aufgelegt. Zuletzt erschienen Michel de Montaignes "Tagebuch der Reise nach Italien über die Schweiz und Deutschland von 1580 bis 1581" und die Berichte des rastlosen Reporters Albert Londres (s.unten).

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Annemarie Schwarzenbach: „Orientreisen. Reportagen aus der Fremde.“ Edition Ebersbach. 200 Seiten. 20,40 Euro.

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Annemarie Schwarzenbach: „Winter in Vorderasien. Tagebuch einer Reise.“ Lenos. 171 Seiten. 15,40 Euro.

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John Dos Passos: „Orient-Express.“ Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Nagel&Kimche. 202 Seiten. 19,50 Euro.

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Albert Londres: „Ein Reporter und nichts als das“. Aus dem Französischen von Petra Bail und Dirk Hemjeoltmanns. Die Andere Bibliothek. 456 Seiten. 39,10 Euro.

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Robert Byron: „Der Weg nach Oxiana“. Aus dem Englischen von Matthias Fienbork. Mit einem Vorwort von Bruce Chatwin. Die Andere Bibliothek. 380 Seiten. 24,70 Euro.